„Alle Versuche sind fehlgeschlagen“

Die Wissenschaft hat sich von einer Aids-Schutzimpfung vorerst verabschiedet, berichtet Reinhard Kurth, Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Einem Serum für Infizierte allerdings gibt er Chancen

taz: Zwanzig Jahre ist das Aidsvirus bekannt. Trotzdem infizieren sich jährlich rund fünf Millionen Menschen neu mit dem Virus. Hat die Aidsforschung versagt?

Reinhard Kurth: Wenn man die Aidsimpfstoffforschung nur an den Ergebnissen messen will, dann hat sie versagt. Alle Anstrengungen, einen Impfstoff zu entwickeln, die – vorrangig in den USA – mit einem hohen finanziellen Aufwand unterstützt wurden, sind bislang fehlgeschlagen. Und bisher hat die Wissenschaft keine Erklärung dafür.

Das klingt nicht sehr optimistisch?

Es wird nicht einfach sein, einen Impfstoff zu finden. Derzeit sind weltweit vielleicht 25 verschiedene Ansätze in der Entwicklung. Einige Impfstoffkandidaten gehen jetzt in die klinische Prüfung: das heißt, sie werden am Menschen getestet. Auch in Deutschland wird eine Gruppe aus Hamburg und Bonn demnächst mit einer Phase-1-Studie beginnen, in der es nur um Nebenwirkungen geht. Wir haben aber unseren Anspruch geändert. In den ersten Jahren wollten wir immer eine so genannte sterilisierende Impfung entwickeln …

das heißt eine vorbeugende Schutzimpfung, die schon die Infektion verhindert?

Von diesem Konzept haben wir aber Abschied genommen. Man schafft es praktisch nicht. Ein Erfolg wäre schon, wenn wir einen Impfstoff fänden, der die Anzahl der Viren nach einer Infektion drastisch reduziert.

Eine Aidserkrankung könnte damit aber nicht mit Sicherheit verhindert werden?

Ein Impfling mit einer ganz geringen Viruslast hat aber eine weitaus bessere Prognose als ein Nichtgeimpfter. Die natürliche Krankheitsentwicklung, die bei einer frühzeitigen Behandlung mit Virostatika etwa 10 Jahre dauert, kann man dann vielleicht mit einer derartigen Impfung auf 15 bis 20 Jahre verzögern. Das wäre schon ein wichtiger Fortschritt.

Wagen Sie eine Prognose, wann ein Impfstoff auf den Markt kommt?

Das kann kein seriöser Wissenschaftler vorhersagen.

Wo sehen Sie derzeit bei uns die größten Probleme?

Die Neuinfektionsrate mit HIV ist derzeit bei uns relativ stabil. Nur in der Gruppe der Homosexuellen zeichnet sich aktuell ein leichter Anstieg ab. Bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis dagegen steigt die Gesamtzahl deutlich an – ein Indiz, dass auch hierzulande die Zahl der HIV-Infektionen insgesamt ansteigen könnte. In anderen europäischen Staaten wie England ist das schon jetzt der Fall ist.

Führen Sie das auf mangelnde Vorsorge zurück?

Offenbar ist das sexuelle Verhalten durch die Erfolge bei der HIV-Therapie wieder risikobereiter geworden. Wir haben aber auch einen erheblichen Anteil von Patienten, die aus so genannten Hochprävalenzgebieten kommen, aus Südostasien, der Karibik oder dem südlichen Afrika zum Beispiel, wo die HIV-Infektionen in der allgemeinen Bevölkerung weit verbreitet sind und weiter stark ansteigen. Wenn wir nicht auch unseren Teil dazu beitragen, die Prävention in diesen Regionen zu verstärken, dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch bei uns die Zahlen nach oben gehen.

Wird Ihrer Ansicht nach zu wenig getan?

Wenn ich sehe, wie etwa der Global Fund kämpfen muss, um Gelder zu bekommen, dann ist das schon beschämend bei dieser Katastrophe, der größten medizinischen Katastrophe der Neuzeit. INTERVIEW: WOLFGANG LÖHR