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Migranten haben die Wahl

Am Sonntag wählen MigrantInnen in 80 NRW-Kommunen ihre Interessenvertretungen. Neue Modelle sollen die Beteiligung erhöhen. Ausländerbeirat aus Münster: „Neues Gremium eine Farce“

VON NATALIE WIESMANN

In 80 nordrhein-westfälischen Kommunen wird am Sonntag gewählt: Einwanderer sind dazu aufgerufen, ihre lokale Vertretung zu bestimmen. Mit Plakaten, Flyern und sogar Radio-Spots versuchen Kommunen und Migrantenvertreter das Wahlvolk zum Urnengang zu bewegen.

„Nutzen sie die Chance, das Leben in Ihrer Stadt mitzugestalten“, wendet sich auch Sozialministerin Birgit Fischer (SPD) an die nicht-deutsche Bevölkerung. Durch ein neues Mitbestimmungsmodell (siehe Kasten) in vielen Städten und Gemeinden wollen Land und Kommunen die Migrantenvertretungen attraktiver machen. Auch durch die Erweiterung des Wählerkreises auf Spätaussiedler und eingebürgerte Migranten und die neu eingeführte Briefwahl sollen mehr Einwanderer erreicht werden.

Die Angst vor einer niedrigen Wahlbeteiligung ist berechtigt: Während 1994 noch 24 Prozent der NRW-Einwanderer ihr Vertretungsorgan wählten, waren es bei der vergangenen Wahl vor fünf Jahren im Landesmittel nur noch 15 Prozent. „Ich bin mir sicher, dass wir mit den Integrationsräten mehr Leute erreichen als bei der letzten Wahl“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender der LAGA und Vorkämpfer für ein neues Mitbestimmungsmodell. Wo die alten Ausländerbeiräte gewählt werden, erwarte er eher einen weiteren Rückgang der Beteiligung.

Die Stadt Duisburg ist Vorreiterin bei der Mitbestimmung von MigrantInnen. Mit 21 Prozent Wahlbeteiligung hatte sie 1999 das zweithöchste Ergebnis im Land. Außerdem hat Duisburg bereits die vergangenen fünf Jahre die Zusammenarbeit von gewählten Migranten mit Ratsvertretern erprobt. Doch die Stadt ist ehrgeizig: „Wir wollen am Sonntag bis zu 30 Prozent der Wähler erreichen“, sagt Petra Dobler-Wahl, Geschäftsführerin des Beirates für Integration. Für Veranstaltungen, Plakate und Radio-Spots hat die Stadt 20.000 Euro zur Verfügung gestellt.

Die Stadt Bochum will lieber keine Prognose zur Wahlbeteiligung abgeben, bei der vergangenen Wahl waren es nur neun von hundert Migranten, die zur Urne gingen. In Remscheid, wo weniger die Stadt, sondern viel mehr die Migrantenvereine die Werbetrommeln rühren, erwartet Ratsmitglied Luigi Costanzo (SPD) eine zehnfache Steigerung der Wahlbeteiligung durch die Einführung eines neuen Ausschusses. „Wir hatten drei Prozent, wir wollen 30“, sagt er.

Nicht alle Migranten schätzen ihre Wahlmöglichkeit. Spyros Marinos, seit 20 Jahren Vorsitzender des Ausländerbeirats in Münster, hält die Modernisierung der Ausländerbeiräte für eine Farce, er befürchtet dadurch eine zu große Vereinnahmung der Migranten. „Wenn Ratsmitglieder mit in den neuen Gremien sitzen, trauen sich die Migrantenvertreter nicht zu widersprechen“, sagt er. Das sei wieder eine Form der Bevormundung, sagt Marinos, der bei den Landestreffen der kommunalen Migrantenvertretungen nach eigenen Aussagen „nichts zu sagen hat“. Auch eingebürgerte Migranten hätten in den regulären Parteien nichts zu sagen. Auf lokaler Ebene sollten Wählervereinigungen von Migranten gegründet werden, um mehr politischen Einfluss zu gewinnen. „Die Deutschen sollen endlich aufhören, uns betreuen zu wollen“, sagt er.

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