: Frischer Wind für kernige Energie
In 91 Tagen, am 20. Februar 2005, wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag. Im taz-Interview zur Wahl heute: Peter Harry Carstensen, Spitzenkandidat der CDU, über Wachstum, Wirtschaft und die Magie einer schwarz-gelben Koalition
Interview:Esther Geißlingerund Sven-Michael Veit
taz: Eigentlich wollten wir mit Ihnen über Populismus sprechen – Stichwort Frauensuche per Bild-Zeitung ...
Peter Harry Carstensen: Das war kein Populismus. Ich wollte ein Thema ansprechen, das viele betrifft: Die Einsamkeit nach dem Tod eines Ehepartners. Es ist etwas anderes daraus geworden. Aber eigentlich möchte ich mit Ihnen lieber über notwendige politische Veränderungen in Schleswig-Holstein reden.
Gern. Ihr Wahlkampf lief bisher nicht optimal. Wie viel von den Pannen lasten Sie sich selbst an?
Jedem, der viel tut, unterlaufen auch mal Fehler. Dafür muss man dann die Verantwortung übernehmen. Wenn Sie das in Relation setzen zu den Fehlern der rot-grünen Regierung, dann stehen wir sehr gut da. Wir haben gute Leute und ein gutes Programm, wir werden die Wahl gewinnen.
Die Landes-CDU ist nicht einfach zu führen. Glauben Sie, dass Sie nach einem Wahlsieg die Truppe hinter sich behalten können?
Wenn Sie sich an unseren Landesparteitag Anfang November in Travemünde erinnern, dann wissen Sie, dass wir in großer Geschlossenheit ein Ziel haben: Gemeinsam am 20. Februar 2005 den Sieg zu holen.
Die Frage war: Angenommen, Sie gewönnen...
Wir werden gewinnen, das bestätigen die Umfrageergebnisse, aus denen klar hervorgeht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung einen Regierungswechsel möchte. Aber wir werden ein schwieriges Erbe antreten. Angesichts der Haushaltslage wundert es mich, mit welcher Leichtigkeit manche von den Grünen und den Roten mit der Situation umgehen. Wir diskutieren über zwei Millionen Euro für Kindergärten und nicht darüber, dass wir 950 Millionen Euro Zinsen zahlen müssen.
Bleiben wir noch kurz beim Wahlkampf: So sicher wie noch vor kurzem ist der Sieg nicht mehr – Rot-Grün und Schwarz-Gelb liegen inzwischen Kopf an Kopf.
Wir liegen vor der SPD, wir sind weiterhin die stärkste Partei im Land, und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will den Wechsel. Wir werden einen themenbezogenen Wahlkampf führen und deutlich machen, dass wir das bessere Programm für Schleswig-Holstein haben.
Mehr Themen mahnt auch die FDP an. Wie ist das Verhältnis zum Wunsch-Koalitionspartner?
Unser Verhältnis ist gut. Wenn der kleinere Partner um seiner Eigenständigkeit willen versucht, sich deutlich abzugrenzen und sich zu profilieren, dann muss man das akzeptieren.
Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik sind für Sie entscheidend. Neulich sagten Sie, eine neue Koalition schaffe schon ein anderes Klima – kann das wirklich so einfach sein?
Sehen Sie in unser Wahlprogramm. Dort haben wir detailliert beschrieben, was erforderlich ist, um wieder Wachstum zu erreichen. Das schafft Vertrauen in der Wirtschaft. Im Übrigen: Die Unions-geführten Bundesländer haben bewiesen, wie man Wachstum schafft. Allein durch Sparen ist der Haushalt nicht mehr in den Griff zu bekommen.
Aber durch die Magie einer neuen Koalition auch nicht.
Nicht durch Magie, sondern durch klare wirtschafts- und finanzpolitische Konzepte. Dafür brauchen wir eine standortbegünstigende Infrastruktur- und Ansiedlungspolitik, dafür brauchen wir schnelle Entscheidungen und dafür müssen wir alle Fördermittel abrufen, was heute leider nicht geschieht.
Infrastrukturpolitik heißt vermutlich Autobahnen und ...
Natürlich die A 20 und die feste Fehmarnbelt-Querung, aber auch die Elektrifizierung von Bahnstrecken. Wir haben die EU-Osterweiterung, es boomt in Skandinavien – daran müssen wir partizipieren.
Sie wollen den Ausbau des Flughafens Kiel-Holtenau und den Großflughafen Kaltenkirchen. Die FDP hat zu beiden Nein gesagt.
Wir brauchen ein schlüssiges Flughafenkonzept. Details werden Gegenstand der Koalitionsverhandlungen mit der FDP sein.
Wie viele Flugplätze erträgt denn ein Tourismus-Land wie Schleswig-Holstein?
Der einzige Ort in Schleswig-Holstein, der beim Fremdenverkehr zugelegt hat, ist eine Stadt mit Flughafen: Lübeck profitiert von Ryan-Air. Wenn Sie dort italienische Touristen sehen, dann sind die nicht zu Fuß von Pisa nach Lübeck gelaufen.
In der Energiepolitik wollen Sie Subventionen streichen – heißt das, Windräder abbauen?
Nein. Meine Position zur Windenergie ist bekannt, die Windenergie-Entwicklung in Deutschland ist mit dem Namen Carstensen verbunden. Wir stehen zum Energiemix, wir wollen, dass die Firmen die neuesten Anlagen zeigen können und dass die Technik hier entwickelt wird. Aber wir brauchen auch preiswerte Energie. Ich sehe nicht ein, hier die Kernenergieanlagen abzuschalten, um Atomstrom aus Osteuropa – und damit aus weniger sicheren Anlagen – zu importieren.
Damit produzieren Sie aber noch mehr Atommüll.
Ein sicheres Endlager für Atommüll bleibt auf der Tagesordnung. Das, was wir jetzt haben, müssen wir auch endlagern.
Anderes Thema: Das Land braucht Arbeitsplätze – wo sollen die herkommen?
Durch Wirtschaftsansiedlung und Wachstum. Unser Programm ist sehr konkret. Jede Ausgabe wird geprüft: Ob sie Arbeitsplätze schafft, die Bildungschancen verbessert, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert oder das Ehrenamt fördert. Wenn nicht wenigstens ein Kriterium erfüllt ist, können wir die Ausgabe nicht mehr tätigen.
In der Schulpolitik wollen Sie am dreigliedrigen System festhalten – warum?
Weil es sich bewährt hat. Man kann sich über das skandinavische System Gedanken machen. Aber dafür haben wir die Lehrer nicht ausgebildet, und wir haben kein Geld dafür. Die bisherige Schwäche des dreigliedrigen Systems – es fehlt die Durchlässigkeit – wollen wir beseitigen. Wir wollen die Hauptschule aufwerten, und wir wollen eine Prüfung einbauen, damit die Kinder gleich in die für sie richtige Schule kommen.
Und wir sind für eine Ganztagsschule. Das ist etwas anderes als Ganztagsbetreuung, von der die Landesregierung spricht. Das würde bedeuten, den Gemeinden die Kosten aufzulasten. In unserem Modell ist das Land zuständig.
Angefangen haben wir mit der privaten Frauensuche, kommen jetzt zur politischen: In Ihrem ersten Schattenkabinett fehlten Frauen fast völlig, im Wahlprogramm steht kein Wort zur Geschlechterpolitik.
Wir haben keinen Nachholbedarf. Wir haben drei kompetente Frauen in unserem Kompetenzteam und deutliche Aussagen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, über die vor einigen Jahren noch kein Konsens zu erzielen gewesen wäre, weil das nicht dem alten Bild von Familie entsprach.
Das ist jetzt weg in der CDU?
Vollkommen. Die Lebenswirklichkeit hat sich verändert, daran kann man nicht vorbeigehen. Das betrifft auch die Betreuung von Kleinkindern: Wenn die Nachfrage da ist, muss es auch Angebote geben. Allerdings werden wir aufgrund der demografischen Entwicklung Probleme haben, die Kindertagesstätten noch voll zu bekommen.
Werfen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie sieht ein schwarz-gelb regiertes Schleswig-Holstein im Jahr 2010 aus?
Wir werden dann ein anderes Klima für Investitionen haben, wir werden eine bessere Zusammenarbeit mit Hamburg haben, wir werden viele Infrastrukturprobleme angepackt haben. Vor allem wird wichtig sein, dass das Damokles-Schwert der Schuldensituation verschwunden ist. Das sind ehrgeizige, aber realisierbare Ziele.