piwik no script img

Archiv-Artikel

Gorleben? Ungeeignet

Das Deckgebirge ist „krank“, die Anwohner sind dagegen: Die Grünen und ExpertInnen wollen die Suche nach einem Endlager neu aufrollen

„Es ist ärgerlich, wie jenseits von Sachkenntnis über den Zeitpunkt schwadroniert wird“

Aus Hannover KAI SCHÖNEBERG

Etwas „schräg“ findet Rebecca Harms, Fraktionschefin der niedersächsischen Grünen, den Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) schon. So dränge er immer wieder darauf, der Salzstock Gorleben solle „möglichst schnell“ erkundet werden. Dabei brauche man erst in 30 Jahren ein deutsches Atommüll-Endlager. „Gorleben ist absolut ungeeignet“, sagt Harms – und bekam dafür gestern bei einer Diskussionsrunde der Grünen Unterstützung von Fachleuten.

Schon seit 20 Jahren wisse man, dass das Deckgebirge des Salzstocks in Gorleben „krank“ sei, betonte der Geologe Jürgen Kreusch aus Hannover. Die Tonschicht über dem Salz sei undicht. Deshalb komme der Salzstock mit dem Grundwasser in Berührung und könne sich leicht mit radioaktiven Stoffen verseuchen. „Das dauert keine Million Jahre“, sagte Kreusch, Teilnehmer des vom Bundesumweltministerium initiierten Arbeitskreises Endlager (AK End).

Schon damals habe dieser Befund aber nicht zum Ausschluss Gorlebens geführt, weil sich Industrie und Politik offensichtlich auf den Standort festgelegt hatten. War vor der Entdeckung ein intaktes Deckgebirge zum Schutz vor Strahlen für nötig gehalten worden, habe man dann „die Sicherheitsphilosophie den Erkundungsergebnissen angepasst“, sagte Kreusch. Geologisch gesehen gebe es in Deutschland „große Chancen“, einen geeigneteren Standort zu finden. Auch die im Wendland nicht gegebene Akzeptanz der Bevölkerung sei ein Problem, sagte der Soziologe Detlev Ipsen aus Kassel. „Ohne umfassende Bürgerbeteiligung ist ein Endlager in einem demokratischen Land nicht durchsetzbar.“

Zwar bejahten bei Umfragen 60 bis 70 Prozent, dass das Atommüll-Problem gelöst werden müsse, aber genau so viele der Befragten wollten kein Endlager vor ihrer Haustür, referierte Ipsen, der auch Mitglied im AK End war. Deshalb müssten sich vor der Festlegung auf einen Standort nach schwedischem Vorbild Industrie und Politik mit den Betroffenen abstimmen. Natürlich sei es „nicht durchzuhalten, nur zu sagen ‚not in my backyard‘“, betonte Harms, deren Wahlkreis der betroffene Landkreis Lüchow-Danneberg ist.

Die in Gorleben gewonnenen Erkenntnisse könnten bei der Suche nach einem neuen Endlager mit einbezogen werden. Die Eile, mit der sich die Landesregierung derzeit auf Gorleben einschieße, sei jedoch übertrieben. „Der Zeitpunkt ist nicht politisch, sondern naturwissenschaftlich definiert“, betonte Harms. Vor der Endlagerung müsse die Strahlung des hochradioaktiven Mülls aus deutschen AKWs noch bis etwa zum Jahr 2030 abklingen. „Es ärgert mich, wie jenseits von Sachkenntnis über den Zeitpunkt schwadroniert wird“, sagte Harms.

Der einzig gangbare Weg bei der Endlagersuche sei es, zunächst das Auswahlverfahren zusammen mit den Sicherheitskriterien für einen Standort gesetzlich festzuschreiben, am besten noch in dieser Legislaturperiode. Die Forderung der Landesregierung, den Erkundungsstopp in Gorleben aufzuheben, sei falsch, sagte Harms. Wenn im Erkundungsbergwerk zu Ende gebaut werde, „sind die Chancen für einen echten Standortvergleich noch schlechter als vorher“.