Zoff um den Zucker
: Die EU

Mehr als vierzig Jahre war alles in bester Ordnung: Seit den Sechzigerjahren gilt bei Anbau und Verarbeitung von Rüben zu Zucker ein kompliziertes System von Zöllen und garantierten Preisen. Für eine festgelegte Menge angebauter und verarbeiteter Zuckerrüben erhalten Industrie und Bauern eine feste Summe. So viel, dass es sich auch lohnt, mehr zu produzieren und den Überschuss zu Preisen unter dem Weltmarktniveau anzubieten. Und zwar offenbar mehr, als die EU eigentlich mit der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbart hat. Das zumindest hat ein WTO-Schiedsgericht im Oktober entschieden. Dagegen will die EU zwar Berufung einlegen, doch die Erfolgsaussichten werden als gering eingeschätzt.

Sowohl in Brüssel als auch Berlin ist schon länger klar, dass Förderung, überhöhte Preise im Inland und Dumping im Ausland nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Zumal das auch eine Menge kostet: Sechs Milliarden Euro zahlen die Verbraucher jedes Jahr für dieses System, hat der Europäische Rechnungshof errechnet. Nun soll laut einem Vorschlag der alten Kommission vom Sommer der Zuckerrübenmindestpreis binnen vier Jahren um 37 Prozent sinken. Zudem soll die Menge, für die der Garantiepreis gilt, um 2,8 Millionen auf 14,6 Millionen Tonnen gesenkt werden. Und das schon ab Juli 2005.

Morgen werden die EU-Agrarminister über den Vorschlag reden. Für die deutsche Agrarministerin Renate Künast (Grüne) ist klar, dass es nicht mehr um die Frage geht, ob eine Reform der Zuckermarktordnung kommt. Es gehe nur noch um das Wie. Und da haben alle Player im Spiel ihre eigenen Vorstellungen.

Die Rübenbauern

375.000 bäuerliche Betriebe leben zurzeit in Europa vom Zuckerrübenanbau, 50.000 davon in Deutschland. Bislang ging es ihnen nicht schlecht. Doch einer Studie der Universität Hohenheim zufolge würde die neue Zuckermarktordnung die deutschen Bauern etwa 20 Prozent ihre Einkommens kosten. Mehr als ein Drittel der Betriebe, so die Prognose, werde den Zuckerrübenanbau einstellen, fünf Prozent der Bauern, die sich auf den Zuckerrübenanbau spezialisiert haben, wären zur Aufgabe ihres Betriebs gezwungen.

Deshalb machen die Zuckerrübenbauern mit Protestaktionen zurzeit mobil gegen die geplante Reform. Zwar räumen auch sie ein, dass die Regelungen geändert werden müssen. Allerdings fordern sie deutlich längere Fristen: Frühestens 2006/2007 könne eine Reform erfolgen und die müsse bis mindestens 2012 Bestand haben. Zudem fordern sie höhere Ausgleichszahlungen sowie mehr Geld für jede Tonne Zucker, die weniger produziert wird. Bislang sind 250 Euro pro Tonne vorgesehen.

Die Industrie (I)

Zucker ist für die Produzenten ein süßes und sicheres Geschäft. Das größte Stück vom Kuchen haben Deutschland und Frankreich, die zusammen allein die Hälfte der in den 25 Mitgliedstaaten hergestellten Menge produzieren. In Deutschland verarbeiten fünf große Unternehmen die Zuckerrüben in 27 Fabriken zu Raffinade, Zuckerwürfeln, Gelierzucker und so weiter.

Das mit Abstand größte Unternehmen – und auch Europas Nummer eins – ist die Südzucker AG in Mannheim, mit einem Jahresumsatz von 4,5 Milliarden Euro und einem Gewinn von 307 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr. Jeder vierte eingenommene Euro kommt allerdings aus dem „Spezialitäten-Geschäft“, wozu die Beteiligungen an Produzenten von Fertiggerichten, Fruchtsäften und Backzutaten zählen.

Über 50 Prozent des Unternehmens gehören über Genossenschaftsverbände den Rübenbauern, allerdings sind auch freie Aktionäre und Investoren aus den USA beteiligt. Südzucker ist in ganz Europa aktiv, weshalb die Drohung, die geplante Zuckermarktordnung führe zu Fabrikschließungen, viele Regionen verunsichern dürfte. Der Konzern rechnet vor, dass durch die Reformen und den Wegfall von Einfuhrbeschränkungen für die ärmsten Länder ab 2009 bis zu 40 Prozent weniger Zucker in der EU produziert würde. Fünf der elf Fabriken müssten dann geschlossen werden, 1.200 Mitarbeiter und 4.500 Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich wären davon betroffen, lautet die düstere Prognose des Unternehmens.

Die Industrie (II)

Ganz anders sieht die Reformpläne die Industrie, die den Zucker verarbeitet, also die Süßwaren- und Getränkehersteller oder die Produzenten von Obst- und Gemüsekonserven. Die Branche beschäftigt rund 400.000 Menschen in Deutschland. Für diese Unternehmen ist Zucker einer der wichtigsten Rohstoffe, den sie in rauen Mengen verbrauchen. Rund 80 Prozent des deutschen Zuckerkonsums gehen auf ihre Rechnung.

Deshalb sind sie an einem möglichst niedrigen Zuckerpreis interessiert. Die verarbeitende Industrie bezeichnet daher das Quotensystem als „planwirtschaftliche Marktordnung“ und als Nachteil im internationalen Wettbewerb. Die von der EU vorgeschlagene Reform begrüßt sie also, will aber noch mehr: Das Quotensystem soll auslaufen, freier Wettbewerb soll her. Wenn das nicht geschieht, müssten mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, als es in der ganzen Zuckerindustrie gebe.

Das Ausland

Die großen Länder, allen voran Brasilien, sind gegen die jetzige EU-Zuckermarktordnung. Deshalb haben sie auch vor der Welthandelsorganisation geklagt und Recht bekommen. Denn dank der EU-Subventionen können die Hersteller im Export Preise unter dem Niveau des Weltmarktpreises anbieten – zum Nachteil von Großexporteuren wie eben Brasilien, Australien und Thailand.

Anders sehen die Situation kleinere Zuckerhersteller aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum, die so genannten AKP-Staaten. Meist handelt es sich dabei um ehemalige Kolonien, die über Abkommen wie das „Zuckerprotokoll“ aus dem Jahr 1975 mit der EU verbunden sind. Auf dieser Grundlage können die AKP-Staaten festgelegte Mengen Zucker zu über dem Weltmarkt liegenden Garantiepreisen in die EU einführen. An den Mengen will die EU zwar nichts ändern, doch die Preise stehen mit der geplanten Neuordnung zur Disposition und würden um rund ein Drittel sinken.

Deshalb unterstützt zum Beispiel der Botschafter aus Mauritius sehr stark die Lobbyarbeit der europäischen Zuckerproduzenten und setzt sich für eine Verlängerung der Fristen ein. So soll Zeit gewonnen werden, neben dem Zucker andere Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel den Tourismus, aufzubauen oder zu stärken.

In der Tat wäre sein Land von der Reform stark betroffen. Rund 17 Prozent der gesamten Deviseneinnahmen des Inselstaats stammen aus dem Zuckerexport. 30.000 der 150.000 Einwohner sind Zuckerrohrpflanzer. Für hiesige Produzenten ein Beleg dafür, dass die Zuckermarktordnung auch als Instrument der Entwicklungshilfe Bedeutung hat.

Die NGOs

Doch diese Ansicht ist umstritten. So ist man zum Beispiel bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) der Auffassung, dass die bestehende Zuckermarktordnung zur Armutsbekämpfung in der Welt kein geeignetes Instrument sei. Denn der Exportgewinn komme oft nur reichen Großgrundbesitzern zu Gute und nur zu einem geringen Teil der breiten Bevölkerung.

Auch andere Kritiker, etwa der Evangelische Entwicklungsdienst, die für Ernährung zuständige Organisation Fian und der Naturschutzbund Nabu, bemängeln die „unfairen Privilegien“ für den Rübenanbau und die Zuckerherstellung in Europa. Denn diese ruinierten durch gezielte Überproduktion die Preise am Weltmarkt. Mit ihren jetzt aufgestellten Forderungen würden die Zuckererzeuger diese Privilegien nur sichern wollen, anstatt auch einmal andere Perspektiven aufzuzeigen.

Um tatsächlich auch sinnvolle Entwicklungshilfe zu ermöglichen, sollten nach Einschätzung der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die vorhandenen Importquoten zwar Bestand haben, jedoch an die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards gebunden werden. Außerdem sollten die europäischen Bauern und Konzerne zehn Prozent weniger Zucker auf den Markt bringen, damit mehr aus dem Ausland importiert werden muss.

Eine völlige Liberalisierung des Handels lehnen sie jedoch ab. Die würde die Existenz der Rübenbauern hier gefährden und in den Entwicklungsländern die Exportproduktion vergrößern. Und das würde einseitige Wirtschaftsstrukturen in den ärmeren Ländern erzeugen.