ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über die Mystik beim Ausländeramt
Das Zweimal-Gesetz
Von neu nach Berlin gezogenen Landsleuten werde ich immer wieder gefragt, wie das mit der Bürokratie in Berlin ist. In Amerika ist das Deutschlandbild noch weitgehend von Kriegsfilmen bestimmt, in denen Nazisoldaten die Helden ständig auf der Straße aufhalten, um ihre Papiere zu überprüfen. Stimmen die Unterlagen nicht, wird der Held sofort angeschossen.
Ich kann diesen allgemeinen Eindruck meiner Mitamis leider nur bestätigen. Denn ich habe das deutsche Beamtentum immer als willkürlich und gemein erlebt. Entweder fehlt irgendeine Unterlage oder mein Passfoto hat die falsche Größe oder die Beamten genießen gerade ihre Kaffee-, Mittags- bzw. Ganztagspause. Ich habe mich in Deutschland viermal angemeldet und viermal eine Aufenthaltsgenehmigung gekauft. Kein einziger dieser Vorgänge lief ohne Probleme ab.
Beim Ausländeramt ist niemand so unerwünscht wie Ausländer. Der vermeintlichen Zielgruppe dieses Amtes werden mehrere Hindernisse in den Weg gestellt, so dass es fast unmöglich ist, überhaupt einen Beamten zu Gesicht zu bekommen. Ich bin überzeugt, dass es sich hier um eine konservative Beamtenverschwörung handelt: Weil das Einwanderungsrecht unter Rot-Grün nicht verschärft wird, machen sich Beamte einfach so unerreichbar, dass man keinen Antrag stellen kann.
Die erste Maßnahme zur Abschreckung: Der Ausländer muss schon im Morgengrauen draußen Schlange stehen. Sonst bekommt man keinen Wartezettel, der noch vor der Mittagspause behandelt wird. Nach der Mittagspause werden keine mehr behandelt. Was die im Amt nachmittags machen, weiß ich nicht.
So sammelt sich jeden Morgen ein internationales Publikum in der Lagerhauslandschaft des tiefsten Westens und wartet. Es ist ein Spiegel des Warteverhaltens der Welt: Russen, zum Beispiel, verbringen ihre Wartezeit am liebsten mit Rauchen und Wehmütig-Aussehen. Wir Amis starren vor uns hin und sehen aus, als hätten wir dringend noch einen Kaffee nötig. Und die Vietnamesen bringen gleich die ganze Familie mit, um wichtige vietnamesische Familienangelegenheiten auf Vietnamesisch zu besprechen.
Während des Wartens kommt schon Hürde Nummer zwei. Das Amt hat zwei Eingänge. Geht man in den falschen, hat man seine Zeit verschwendet und muss vor der anderen Tür erneut anstehen. Den passenden Eingang zu finden, ist aber gar nicht einfach. Es gibt widersprüchliche Kriterien. Die erste Tür ist laut Aushang für Nachnamen mit den Anfangsbuchstaben von Ngo bis Z. Die zweite wäre somit für die Buchstaben A bis Ngn. Eingang eins ist aber auch für alle Leute, deren Heimatsländer auf dem Schild stehen. Der zweite Eingang ist für die Restlichen.
Mein Nachname befiehlt mich zur zweiten Tür, die USA sind aber auf der Länderliste an der ersten Tür verzeichnet. Ich fragte unseren Freund und Helfer, den Polizisten, der am Eingang stand, um aufzupassen, dass die Ausländer auch eine ordentliche deutsche Schlange bilden. Er sagte, ich gehöre zu Eingang zwei. Der dortige Pförtner aber meinte, ich sollte zum ersten, und hat mich noch zudem mit einem dieser Ihr-Ausländer-seid-wohl-zu-dumm-um-unsere-Schilder-zu-verstehen-Gesichter beehrt. Beim Pförtner am ersten Eingang bekam ich tatsächlich den Wartezettel.
Im Wartezimmer kam ich mit einem alten Chinesen ins Gespräch. Ich erzählte ihm meine Geschichte und der lächelte: „Das verstehst du alles ganz falsch. Die Beamten sind ganz einfach: Man muss immer zweimal hin. Mehr ist es nicht, junger Freund.“ Er erklärte mir, es gäbe in Deutschland ein magisches Zweimal-Gesetz, das nirgendwo geschrieben steht, aber von allen Beamten befolgt wird. Bei ersten Mal komme er daher stets spät am Abend her, nachdem er seinen Laden in Prenzlauer Berg geschlossen habe. Es mache keinen Unterschied, dass Ämter um Mitternacht nie auf sind. Um die mystischen Bedürfnisse der Beamtenwelt zu erfüllen, meinte er, muss man einfach da sein, egal wann.
Diese tiefsinnige chinesische Weisheit leuchtete mir sofort ein und half mir, meine Bitterkeit loszulassen. Irgendwann später wurde mir von einem Sachbearbeiter gesagt, mir fehle ein Schreiben der Krankenkasse, das beweist, dass ich immer noch versichert bin. Ich habe nicht protestiert, obwohl ich seit einem Jahr in die AOK einzahle, meine Karte in der Brieftasche hatte und sogar ein altes Schreiben hatte, das bewies, ich war versichert. Doch darum ging es nicht. Ich war zum ersten Mal da, das war das Problem.
„Also dann, alles Gute“, verabschiedete ich mich. „Wir sehen uns bald wieder.“ Der Beamte nickte viel sagend und wendete sich seinem Kaffee zu.