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Archiv-Artikel

Number one meldet sich

Englisch lernen mit Jo: Das Platypus-Theater führt „A Taste of Honey“ auf, ein Stück aus der Zeit, als Teenagerschwangerschaften und Homosexualität noch Skandale waren

1958 machte die Uraufführung von „A Taste Of Honey“ seine Autorin, die damals 19-jährige Shelagh Delaney, über Nacht berühmt. Das Stück eroberte die Bühnen von London, Paris und New York und wurde drei Jahre später mit Rita Tushingham in der Hauptrolle verfilmt. Dem Berliner Platypus-Theater, das seit 1984 Theaterstücke für Kinder und Jugendliche in englischer Sprache aufführt, ist eine spannende Neuinszenierung des Kultstücks mit australischen und amerikanischen Muttersprachlern gelungen. Selten kann man Schüler der 9. bis 10. Klasse so aufmerksam erleben, wie bei der Aufführung im BKA. Obwohl sie ständig durch die fremde Sprache hindurch müssen.

„A Taste Of Honey“ ist die Geschichte der 16-jährigen Jo, die mit ihrer Mutter Helen in einer schäbigen, kahlen Bude lebt und die meiste Zeit streitet. Um das Stück aus dem Manchester der 50er-Jahre in die Gegenwart zu verlegen, wurden die Darsteller in trendy Secondhand-Klamotten gekleidet und Jo die ungünstige Angewohnheit angedichtet, mittelmäßig zu rappen. Jo liebt ihre Mutter, aber sie verflucht ihre Lebensumstände. Helen ist eine Trinkerin und sehr an Männern interessiert. Immer wieder lässt sie ihre Tochter im Stich.

Auch als Jo nach einer kurzen Liebesaffäre ungewollt schwanger ist. Jo hat die Schnauze voll von Männern – „I hate love“ –, aber ihr Realismus und ihr schwarzer Humor – die Frage, wie das Kind denn heißen soll, beantwortet sie mit „number one“ – lässt sie trotz allem Kummer nicht verzweifeln. Sie sucht sich den homosexuellen Designstudenten Geoff als Mitbewohner: Diese Solidarität der Außenseiter zieht noch immer als romantischer Traum. Die Gags allerdings, die auf Geoffs Kosten gemacht werden – Geoff trägt einen rosa Pullover und singt verzückt „We are the world“ – sind sehr klischeehaft.

Jo kann ihre neurotische Mutter irgendwann nichts mehr anhaben. Sie hat etwas Neues an sich entdeckt. Ein Gefühl, das stärker ist als ihr Elend aus Einsamkeit, Armut und Aussichtslosigkeit. „It must be love“, sagt sie.

Aus dem insgesamt sehr entspannten Spiel fallen die manchmal zu theatralischen Ausbrüche der Mutter etwas heraus. Alle Darsteller haben ihre kleinen Schwächen, doch da sie nicht versuchen, sie zu leugnen, sind sie überzeugend und sympathisch und machen die Inszenierung zu einer runden Sache.

Mögen heute Schwangerschaft unverheirateter Teenager und Homosexualität kein solches gesellschaftliches Tabu mehr sein wie 1958, so haben doch die zwischenmenschlichen Probleme, die das Stück beschreibt, nichts an Aktualität eingebüßt.

Das bestätigt auch die durchweg gespannte Aufmerksamkeit der Schüler, die sonst schnell unruhig und spöttisch werden können, wenn sie etwas langweilt oder nicht überzeugt. Nur ein einziges Mal, als Geoff seine Unterhose mit Kuhmuster präsentiert, kommt es zu einem klassischen Pennälereinwurf: „Muh.“

OLGA LOUISE DOMMEL

BKA, Mehringdamm 34, 8. Dez. 19.30 Uhr, 9. Dez. 11 Uhr, 10. Dez. 11 Uhr