: Wer klagt, muss erst mal zahlen
Die Justizministerkonferenz berät morgen über die „große Justizreform“. Die Minister würden gern die Berufungen gegen Straf- und Zivilurteile abschaffen und Gebühren für Gerichtsprozesse einführen. Der Bund hält sich bisher mit Kritik zurück
von CHRISTIAN RATH
Die Justizminister der Länder wollen die Berufung gegen Straf- und Zivilurteile abschaffen. Morgen wird die Justizministerkonferenz in Berlin das weitere Vorgehen zur „großen Justizreform“ beschließen. Offiziell geht es nicht um Sparpolitik. Vielmehr sollen Prozesse schneller und übersichtlicher abgewickelt werden.
„Die Bürger verstehen die Justiz nicht mehr“, sagte jüngst der neue sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) in Focus. Mackenroth, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Richterbunds, ist gemeinsam mit seiner niedersächsischen Kollegin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) Antreiber der Diskussion. Aus einer Vielzahl von Vorschlägen hätte das Abschaffen der Berufungsinstanz die größte Auswirkung auf die Bürger. Verschämt sprechen die Justizminister von „funktionaler Zweistufigkeit“.
Ein Prozess würde demnach wie bisher bei Amts- oder Landgericht beginnen. Das Urteil könnte dann aber nur noch mit der Revision angegriffen werden; das heißt, es würde beim Oberlandesgericht oder beim Bundesgerichtshof nur noch auf Rechtsfehler kontrolliert. Kritik an der Beweisaufnahme, etwa Fehler in einem Sachverständigengutachten oder die falsche Bewertung einer Zeugenaussage, wäre dann nicht mehr zulässig. Heute ist in vielen Fällen in der Berufungsinstanz eine völlige Neuauflage des Prozesses möglich. „Wir müssen den Rechtsstaat von Übertreibungen befreien“, sagt dazu der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP).
Ursprünglich kommt die Idee der funktionalen Zweistufigkeit aus dem Lager der CDU/CSU/FDP-regierten Länder. Anfang November haben jedoch auch die SPD-Länder in einer Staatssekretärsrunde Zustimmung signalisiert. Umso erstaunlicher, dass sich die Lobbyverbände der Justiz noch gar nicht rühren. Doch der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Deutsche Richterbund warten beide ab, sie wollen nicht vorschnell ihr Pulver verschießen. Vor allem von den Anwälten wäre im Ernstfall jedoch eine massive Kampagne zu erwarten. Auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) will erst einmal die konkreten Vorschläge der Länder sehen, bevor sie sich inhaltlich äußert. Immerhin haben die Länder weniger weitgehende Vorschläge von Zypries’ Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin noch als „bürgerfeindlich“ bekämpft.
Damals wollte Däubler-Gmelin die erste Instanz der Ziviljustiz personell stärken und im Gegenzug die zweite Instanz einschränken. Letztlich kam die Reform nur in stark abgeschwächter Form zustande. Für Diskussionen wird auch ein zweiter Vorschlag von Mackenroth sorgen. In Anlehnung an die Praxisgebühr bei den Ärzten will er eine Prozessgebühr für Gerichte einführen. „Das könnte Prozesshansel abschrecken“, sagt der sächsische Minister. Bisher zahlt der Verlierer des Prozesses alle Kosten, was als Abschreckung für sinnlose Prozesse genügen sollte. Mackenroth denkt aber vor allem an Rechtsschutzversicherte. Für diese soll eine Art Selbstbehalt eingeführt werden. Große Bedeutung für den Justizaufbau haben die Pläne, die Fachgerichtsbarkeiten zusammenzulegen. Sozial- und Finanzgerichte würden dann mit den Verwaltungsgerichten fusioniert. Arbeitsgerichte würden den Zivil- und Strafgerichten angegliedert. Außerdem sollen alle Fachgerichte eine gemeinsame Prozessordnung erhalten. Es wird erwartet, dass die Justizminister morgen nur einen Grundsatzbeschluss treffen, um konkrete Pläne bis zur nächsten Konferenz im Frühjahr auszuarbeiten. Beschlüsse müssten letztlich im Bundestag gefasst werden.