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Archiv-Artikel

Gesucht: Stricklieseln

Schals, Mützen und Strümpfe kann man tatsächlich selbst stricken – dann kosten sie oft auch nur noch die Hälfte des Ladenpreises

Wo die Wolle wirklich herkommt: Kein Schaf kriegt Glitzerfäden und Schlaufen hin

Wer strickt, fällt auf. „Was machst du denn da?“ fragen die einen und gucken befremdet auf das Gewusel aus Nadeln, Wolle und Fingern. Andere wollen wissen, wo in aller Welt man das denn gelernt habe – als handele es sich um eine sehr spezielle japanische Papierfalttechnik, mit der sich ganze Atomkraftwerke bauen lassen. Und dann gibt es noch diejenigen, die so einen Glanz in die Augen bekommen und darum bitten, ob sie vielleicht auch mal eine Reihe oder nur ein paar Maschen, und früher hätten sie ja auch ganz viel, ganze Pullover, sogar mit Zopfmuster. Als Ex-Stricker outen sich vor allem Über-dreißigjährige, auch Männer. Und erinnern sich an Zeiten, als alle in der großen Pause nur noch eins im Kopf hatten: eins links, eins rechts, eins fallen lassen.

Doch die Zeiten des gemeinsamen Maschenaufnehmens und Musteraustauschens sind vorbei. Auch grüne Politiker und Politikerinnen erwischt man kaum noch in Sitzungen mit einem Nadelspiel und sehr selten mit selbstgestricktem Pullunder. Die Folgen der allgemeinen Abkehr von der Nadel: Es gibt kaum noch Wollgeschäfte. In der Innenstadt bieten nur die beiden großen Kaufhäuser ein kleines Sortiment überwiegend kunstfaser-dominierter Knäuel und im Viertel ist von ursprünglich fünf nur noch ein einziges übriggeblieben.

Irma Plaschkes Laden in der Humboldtstraße konnte sich nur halten, weil sie nicht mehr ausschließlich Strickzubehör verkauft, sondern mittlerweile auch Mode. „Nur von Wolle kann man nicht leben“, sagt die Ladenbesitzerin, die seit 1978 im Geschäft ist. Damals habe es einen Boom gegeben, sagt sie. „Das war der Zeitgeist – jeder wollte kreativ sein.“ Doch bereits Mitte der 80er sei es vorbei gewesen mit dem Experimentieren mit bunten Farben und wilden Mustern. „Plötzlich wollte jeder nur noch unifarbene Pullis.“ Mit Selbstgestricktem auffallen war definitiv out, und wer weiterstrickte, verlangte immer seltener nach handgefärbter und selbstgesponnener Schurwolle vom glücklichen Schaf hinterm Haus.

Auch Irma Plaschke stellte ihr Sortiment um. Die Wollgemische aus Kunstfaser und Naturmaterialien seien vor allem deshalb gefragt, weil die aktuelle Mode auf Effekten aufbaut: Glitzerfäden, Schlaufen, Bändchen. Kein Schaf kriegt das hin. Billig werden die Knäuel dennoch nicht. Ein Grund, warum viele junge Frauen doch erst mal abgeschreckt werden, glaubt Irma Plaschke. „Die kommen schon und gucken, aber erschrecken bei den Preisen.“ Drei bis fünf Euro kosten 50 Gramm im Schnitt, für einen Pullover kann man mit 60 bis 100 Euro rechnen. „Und dann gehen die in die Obernstraße, und da kosten die Klamotten nicht einmal die Hälfte.“

Was sich allerdings rein finanziell gesehen lohnt, sind kleinere Strickwerke wie Schals, Strümpfe und Overknees (Anleitungen im Kasten) – vor allem wenn sie nicht aus 100 Prozent Kunststoff bestehen sollen. Wenn ein wie ein Heimarbeitsstück daher kommender Schal mit 40 Euro zu Buche schlägt, findet die eine oder andere Modebewusste doch den Weg ins Fachgeschäft.

„Ich merke schon, dass auch jüngere Frauen wieder anfangen“, sagt Ute Kraft (33) vom Kurzwaren-Geschäft „Kraft-Stoff“ im Steintor. Vor allem selbstgestrickte Strümpfe würden bei vielen ein Kribbeln in den Fingern auslösen, hat Kraft beobachtet. „Die werden richtig heiß, wenn sie sehen, dass jemand Strümpfe stricken kann und wollen sofort anfangen.“

Eiken Bruhn

Strickanleitungen und Links: www.strickmoden.de