: berliner szenen Urban-Paranoia
Faltenfrei dank Heroin
Nachts, 1.30 Uhr. Urbanstraße. Ein Mann, eher klein, torkelt leicht. Braune Jacke, Jeans, kurze Haare, sieht ganz ordentlich aus, so wie ein nachgeordneter Polizist im Fernsehen vielleicht oder ein Irgendjemand im Publikum einer Fernsehsendung. Oder wie ein stiller Kleinkrimineller mit Kinderheimvergangenheit, aber eben keiner, der dann aufsässig wird, sondern eher still mit schlechten Noten, dachte ich, als er fast schüchtern mit dünner Stimme zweimal „Hilfe“ rief.
Ich ging zu ihm hin und fragte, was wäre. Er war vielleicht Anfang oder Mitte dreißig. Er torkelte leicht. Was er sagte, war zum größten Teil unzusammenhängend, nur dass dieser Mann dort ihn verfolge, er wisse auch nicht warum. „Dieser Mann“ lasse ihn nicht in Ruhe, er habe Angst vor ihm, und ich solle bei ihm bleiben. Er zeigte auf einen Mann, den ich für einen Türken hielt und der ein paar Meter weiter am Straßenrand mit seinem Handy telefonierte. Der Torkelnde ging ein paar Meter nach rechts, dann wieder nach links; der Mann mit dem Handy beobachtete ihn und tat tatsächlich das Gleiche. Der Gehweg war ansonsten leer.
Der Torkelnde roch nicht nach Alkohol, also eher Heroin wohl. Es fiel mir auf, dass in seinem Gesicht kaum Falten waren. Ich fragte, wohin er denn wolle, und er sagte, er wisse das auch nicht. Grad wäre ihm auch vollkommen unklar, wo oben, unten, rechts oder links sei. Wo er denn wohne, ob ich ihn irgendwohin begleiten solle? – „Keine Ahnung.“ Er schien darauf zu hoffen, dass ich mitnehmen würde. Nachdem wir ein paar Meter nebeneinander gegangen waren, entfernte er sich wieder und ging wie ein Hund zu seinem Herrchen zu dem anderen hin, der grad zu seinem Handy sagte, er wäre jetzt Mittenwalder Ecke Urbanstraße. DETLEF KUHLBRODT