Es geht ums Lernen, ihr Dummköpfe!

„Baby-Pisa“ ist etwas anderes als „Pisa 2“, zielt aber auf dasselbe Problem: den antiquierten deutschen Lernbegriff

Vielleicht ist es ja ein genetischer Defekt. Oder eine falsch geschaltete Synapse im Hirn des Homo germanicus. Wenn hierzulande das Wort „Lernen“ fällt, macht es sofort Klick und der deutsche Mensch fantasiert sich in etwa diese Versuchsanordnung zusammen: Kinder, in Reih und Glied sitzend, ein Belehrender vor ihnen. Hinzu kommen die Sekundärtugenden Fleiß, Disziplin, ein Schuss Schmerz auch und wenig Spaß. Kurz gesagt: Lernen heißt belehrt werden. Frontal, rezeptiv, kollektiv.

Die Bildungsgutachter der OECD finden diesen Bildungsbegriff reichlich antiquiert. Sie sagen, Lernen und Spaß, das gehört zusammen – sonst bleibt es sinnlos. Das gilt für die 15-Jährigen, die Acht- und Neuntklässler, die bei der Schülerstudie „Pisa 2003“ untersucht wurden. (Die Ergebnisse werden am 7. Dezember offiziell bekannt gegeben.) Und es gilt auch für die Ein- bis Sechsjährigen, deren Lernbedingungen bei der Studie „Baby-Pisa“ unter die Lupe genommen wurden, die der taz vorliegt.

Die Hinweise der OECD-Gutachter, die nun anscheinend im Jahrestakt mit ihren Lernsonden, Evaluierungsbögen und Interviewmikrofonen durch Deutschlands Bildungseinrichtungen wuseln, sind nur auf den ersten Blick verwirrend. In den Schulen, so warnen die Leute aus Paris, wird zu viel gepaukt. In den Kindergärten hingegen wird zu viel gespielt. So steht es in Baby-Pisa („Early Childhood Education and Care Policy“.) Was könnte man daraus lernen? Mehr Freude am Lernen, mehr Kreativität und Eigenständigkeit tun in den Schulen Not. Und mehr Zug, mehr Anforderung und Programm bräuchte es bei den Steppkes ab zwei Jahren.

„Programme frühkindlicher Bildung mit hoher Qualität“, heißt es in dem Papier, „enthalten Kinderinitiative, Spielen und Einsatz genau wie strukturiertes Planen“. Aber die OECD-Bildungsfritzen kennen ihre Pappenheimer in Deutschland zu gut; sie warnen daher: „Wenn ein Programm zu sehr auf formale Fähigkeiten fokussiert ist, dann bietet es den Kindern zu viele Möglichkeiten zu scheitern; es bringt sie in Abhängigkeit von Erwachsenen und befördert negative Erfahrungen ihrer eigenen Kompetenzen.“

Schöner kann man nicht beschreiben, was das Problem der neuen Bildungspläne für Kindergärten ist, die es inzwischen in fast allen Bundesländern gibt: Sie sind rappelvoll mit engmaschigen Anforderungen. Oder wie es der ungütige Landesvater Edmund Stoiber (CSU) bei der Vorstellung des bayerischen Kitaplans im vergangenen Jahr sagte: „Wir werden die Lernschritte für Kinder im Vorschulalter verbindlich festlegen.“ Das ist Quatsch.

Die OECD-Leute schlagen stattdessen eine Art Kita-Paradoxon vor: Lasst den Kindern Freiraum – aber nehmt sie hin und wieder an die Hand. „Wenn Kinder intensiv spielen, dann befördert das die kognitive Entwicklung […] und Kreativität – aber dieser Typ Spielen braucht die Präsenz, die Unterstützung und Anregung durch professionelles Personal.“ Und das ab dem zarten Alter von einem Jahr!

Was verbindet „Pisa 2003“ und „Baby-Pisa“? Die Legasthenie der 15-Jährigen lässt sich langfristig nur bekämpfen, wenn man früh anfängt. Oder: „Die Forschung zeigt, dass sich Kinder, die im Kindergarten ihre Basiskompetenzen erworben haben, in der Schule grundsätzlich leicht tun.“ CHRISTIAN FÜLLER