: „Ich will mit Ihnen reden“
Studierende contra Flierl
Dieses Mal kamen sie in friedlicher Mission. Die drei Studierenden Bella Hemke (Energietechnik), Benjamin Meichsner (Wirtschaftsingenieurwesen, beide Technische Universität) und Dominik Hübner (Sozialwissenschaft, Humboldt-Uni) kannten sich im Büro des Wissenschaftssenators bereits bestens aus – schließlich hatten sie es noch vor einer Woche besetzt und eine Nacht darin kampiert. Diesmal hatte die taz zum Streitgespräch ins Büro des Senators geladen. Thomas Flierl (PDS) reichte Kaffee, man scherzte über das gemeinsam Erlebte. Doch dann wurde es Ernst am vergangenen Donnerstag. Schließlich ging es um die Zukunft der Bildung. Und um die der Finanzen
Moderation SUSANNE AMANN und STEFAN ALBERTI
taz: Herr Flierl, wir sind gerade quasi Leidensgenossen: Während wir hier sprechen, ist die taz von protestierenden Studenten besetzt. Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir die wieder loswerden?
Thomas Flierl: Für mich war es auch neu, dass mein Büro besetzt wird. Die erste Reaktion war, zwei Stunden miteinander zu diskutieren. Dann gab’s Termine, dann eine gewisse Ungeduld, dass es doch mal zu Ende gehen sollte, und schließlich die Einsicht, dass es keine Sache war, die durch Polizei zu lösen ist.
Was halten Sie von dieser Form des Protests?
Ich muss gestehen, dass eine Besetzung natürlich etwas Zwanghaftes und Gewalttätiges hat, weshalb ich sie ablehne. Aber die Studierenden haben ja viele Formen entwickelt, sich Öffentlichkeit zu verschaffen, das fordert Respekt. Da ist eine enorme Überpoduktion an Fantasie vorhanden – wenn wir die jetzt noch auf die Strukturen lenken können, um die es geht, dann wären wir gut bedient.
So viel Verständnis, und trotzdem ändert sich nichts. Fühlen Sie sich von den politisch Verantwortlichen ernst genommen in Ihrem Protest?
Bella Hemke: Von Herrn Flierl haben wir uns schon deshalb mehr ernst genommen gefühlt, weil der mit uns gesprochen hat. Finanzsenator Thilo Sarrazin hat nur „Ihr seid Arschlöcher“ zu uns gesagt. Aber unabhängig davon können wir uns nicht ernst genommen fühlen, wenn es heißt: Es ist sowieso schon alles beschlossen und nicht zu ändern, und nur wenn Massen auf der Straße sind, würde das beeindrucken.
Kommen die Massen noch?
Hemke: Wir sind schon eine große Masse, werden aber jetzt noch mehr. Wir sind gerade ganz stark dabei, Schülerinnen und Schüler einzubinden. Die Samstagsdemonstration wurde ja schon ausgeweitet: Wir werden uns nicht mehr nur gegen Bildungskürzung, sondern gegen Sozialabbau allgemein wenden. Bisher sind es leider überwiegend nur Studierende, die sich beteiligen.
Es kommt nicht so gut für die PDS, dass der Protest sich nun gegen eine rote Regierung richtet.
Flierl: Meine Sympathie bleibt trotzdem. Man muss sich auf gemeinsame Ziele, aber auch Differenzen verständigen, um in Kenntnis der Differenzen politisch handeln zu können. Denn gerade in Berlin überlagert sich die eigene Misere mit einer bundesweiten Debatte, etwa über Studiengebühren.
Hemke: Die Frage, was man machen kann, würden wir gerne zurückgeben. Wir haben schon zu oft gehört, dass die Schuld für die Berliner Misere bei der Vorgängerregierung liegt oder viele Dinge nur auf Bundesebene entschieden werden können.
Haben Sie als Studierende nicht das Gefühl, dass der Senat mit Ihnen das „Guter Bulle – böser Bulle“-Spiel spielt? Hier der verständnisvolle Herr Flierl, der sich mit Ihnen zusammensetzt, dort Finanzsenator Sarrazin, der allen Unmut auf sich zieht.
Dominik Hübner: Natürlich ist uns das klar. Abstrus ist es dabei, uns vorzuwerfen, wir hätten schon vor einem halben Jahr auf die Straße gehen sollen, als Senat und Unipräsidenten ohne uns die Kürzungen verhandelt haben. Da wird quasi versucht, uns nachträglich mitverantwortlich zu machen.
Flierl: Mich interessieren mal Ihre Alternativvorstellungen, wenn wir auf die Kürzungen verzichten würden. Man kann jetzt natürlich fragen: Was sind das für Schulden des Landes, wer verdient daran? Da kommt man aber schnell in gesellschaftspolitische Grundfragen.
Benjamin Meichsner: Trotzdem muss man sich mit der Ursache der Misere beschäftigen. Wir haben doch ein Qualifikationsproblem, weil viel zu wenig Menschen studieren, und das ist mit ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit und den hohen Folgekosten, die jetzt auftreten. Wir befinden uns da in einer Abwärtsspirale, und da muss man mal den Mut zu einem Befreiungsschlag finden. Wir können doch jetzt nicht bei der Bildung sparen und uns damit Zukunftschancen berauben.
Flierl: Die Argumentation ist in sich völlig schlüssig – wenn gesagt wird, wodurch die ursprüngliche Akkumulation, um mal einen klassischen Begriff zu verwenden, ohne Enteignung kommen soll. Die Frage ist doch, woher mehr Geld in das System kommen und wie das vorhandene Geld effektiver ausgegeben werden kann.
Meichsner: Moment. Bildung sind keine Kosten, sondern Investitionen, die sich auszahlen. Deswegen kann man schlicht nicht sagen, dass Bildung kostet.
Flierl: Die Frage ist aber auch, wie man den Rückfluss der Investitionen steuert. Und das muss man erklären. Es reicht nicht zu sagen: Alles Gute lohnt sich – es muss auch in eine politische Ökonomie des Gemeinwesens einfließen. Sie wollen ja nicht nur den gegenwärtigen Zustand halten, für den uns schon das Geld fehlt. Sie fordern 135.000 ausfinanzierte Studienplätze. Diesem Dilemma kann man nicht einfach durch Rumdefinieren der Begriffe entgehen.
Hübner: Es ist ja schön, dass Sie uns einbinden wollen in diese Aufgabe …
Flierl: Ich will Sie nicht einbinden, ich will mit Ihnen reden.
Hübner: Diese Aufgabe verbinden Sie aber mit Bedingungen, denen ich mich widersetze. Das führt dazu, dass ich nicht auf einer Ebene mit Ihnen diskutieren kann. Eine Einnahmensteigerung der öffentlichen Haushalte funktioniert nur im bundesweiten Kontext. Dabei vermisse ich aber ein bisschen die laute Stimme der PDS und den radikalen Widerstand auch auf Landesebene.
Flierl: Wir sind leider aus dem Bundestag geflogen.
Entschuldigung, aber könnten wir mal zu einer schlichteren Betrachtungsweise zurückkommen. Wir würden nämlich gerne mal wissen, wo das Geld herkommen soll.
Meichsner: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet doch vor, was Investitionen in Bildung bringen kann: dass für jeden Euro aus der Landeskasse vier Euro zurückkommen. Unabhängig davon fordern wir eine andere Prioritätensetzung mit Bildung als höchster Priorität.
Ist Hochschulbildung für Sie wichtiger als Sozialhilfe oder Kitas, in die es nicht reinregnet? Dort wird auch gekürzt.
Hemke: Nein, natürlich nicht. Aber trotzdem muss man doch über die Zukunft der Bildung reden. Etwa darüber, wie welche Einrichtungen gefördert werden. Die private Elite-Universität, die hier entstehen soll, hat ihr Grundstück im Wert von 50 Millionen geschenkt bekommen.
Flierl: Das ist ein Erbbaupachtvertrag, und der Umbau wird selbst finanziert. Insofern ist das keine Ausgabe für Berlin.
Hemke: Trotzdem wird doch auch von Ihnen und Herrn Sarrazin gesagt, dass wir sogar mehr als 135.000 Studienplätze in Berlin brauchen. Dann muss man das auch anders fördern.
Flierl: Das ist ja kein Widerspruch. Trotzdem macht es keinen Sinn, sich über die Berliner Misere hinwegzuträumen. Wir haben im Senat eine Finanzplanung vorgelegt und warten jetzt, dass ein Konzept von den Hochschulen entwickelt wird. Auch mit den Studierenden. Und das kann dann diskutiert werden.
Hübner: Ich halte das Konzept für richtig, den Hochschulen die Entwicklung der Strukturpläne zu überlassen, aber natürlich nicht unter der Vorgabe der Kürzungen. Das erweckt dann den Eindruck, dass das eher eine formal gewährte Autonomie ist. Denn Sie mischen sich gleich wieder in die Planungen ein – wie man etwa an der Diskussion um die theologische Fakultät an der Humboldt-Uni sieht.
Flierl: Da muss ich mich auf den Staatsvertrag von 1931 des Staates Preußen beziehen. Der gilt fort, der kann nicht gebrochen, sondern müsste gekündigt werden.
Ziehen Sie sich da nicht sehr auf Formalia zurück?
Flierl: Natürlich gibt es Formalia, und natürlich werden wir uns in die Strukturplanung der Universitäten einmischen.
Hübner: Damit wird doch ein Zerfleischungsprozess in Gang gesetzt, bei dem verschiedene Blöcke gegeneinander ausgespielt werden. Und Sie sind fein raus.
Lassen Sie uns über das von Thomas Flierl angedachte Studienkontenmodell reden, das ja de facto eine Einführung von Studiengebühren ist.
Flierl: Protest! Das sind natürlich keine Studiengebühren. Das ist eine Frage der Definition.
Der Regierende Bürgermeister will generelle Studiengebühren, auch wenn er in seiner SPD dafür keine Mehrheit hat. Was ist so schlimm, so unsozial daran, wenn es solche kreditfinanzierten Gebühren gäbe, die erst nach Studienende und ab einem gewissen Einkommen fällig würden?
Flierl: Sie sind unsozial, weil es kein Gesamtkonzept gibt. Ich habe die Sorge, dass sich der Staat damit aus der Verantwortung zurückzieht, das öffentliche Gut Bildung zu finanzieren, und zwar aus allgemeinen Steuern. Es wäre ein eklatanter Systembruch, und es würde neue soziale Barrieren errichten.
Hübner: Die empirische Realität zeigt, dass Studierwillige aus den unteren sozialen Schichten sich bei Studiengebühren noch zehnmal mehr überlegen, ob sie wirklich studieren sollen – weil sie eben nicht so abgesichert sind wie reiche Studierwillige. Die wissen, dass notfalls die Eltern einspringen. Das schreckt Arme ab, und die Folge ist ein sozialer Numerus clausus.
Hemke: Deshalb finde ich auch die Studienkonten so bedrohlich, von denen Herr Flierl sagt, dass sie keine Studiengebühren sind. Sie bilden den Grundstein für die Einführung von generellen Studiengebühren. Wenn es erst mal das Abrechnungssystem für solche Konten gibt, wird es nicht mehr lange dauern, dass ab dem ersten Semester gezahlt werden muss.
Meichsner: Wenn man sich überlegt, was Bildung wirklich wert ist, und das mit einer Summe versieht, dann ist das der erste Schritt dahin, dass Bildung nur noch eine Ware ist.
Flierl: Nicht die Bildung wird in Werten ausgedrückt, sondern das, was die Öffentlichkeit zur Vefügung stellt, um Bildung zu vermitteln – also Hochschulbau und Personal. Alle öffentlichen Güter müssen stofflich und finanziell dargestellt werden, das macht sie doch nicht automatisch zu Waren. Wenn die Linke nicht rechnen kann, dann steht sie vor dem gleichen Dilemma, wie es die früheren staatssozialistischen Länder hatten.
Kurz noch konkret zur Zukunft des Uni-Streiks. In gut zwei Wochen rufen Mama und Papa zum Weihnachtsbaum, dann ist doch Feierabend.
Hemke: Nein, natürlich nicht. Wir hoffen stark, dass es weitergeht. Die Debatte in der Politik geht ja auch weiter.
Meichsner: Wir werden nach Weihnachten sicher einen Punkt finden, an dem wir mit 200 Prozent wieder einsteigen können.