: Begegnung von Mittelmeer-Anrainern
Das Gipfeltreffen der Maghreb-Länder mit fünf europäischen Staaten belegt einmal mehr die tiefe politische Krise der Region. Auch die nordafrikanische Union kommt nicht voran. Beschlüsse zu Terrorismus oder Immigration wurden nicht gefasst
VON REINER WANDLER
Erstmals seit fünfzehn Jahren haben sich die höchsten Vertreter der fünf Maghrebländer Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen an einen Tisch gesetzt. Unter der Formel „Fünf plus fünf“ trafen sie sich am Freitag und Samstag in Tunis mit den Vertretern der Länder auf der europäischen Seite des westlichen Mittelmeeres – Frankreich, Spanien, Italien, Portugal und Malta. Der Gipfel sollte einer Annäherung der Nordafrikaner untereinander und vor allem an die Nachbarn aus der EU dienen.
Der französische Präsident Jacques Chirac forderte die fünf nordafrikanischen Staaten zu Beginn auf, ihre politische und wirtschaftlichen Integration voranzutreiben, „um aus dem Mittelmeer eine Region des Friedens und der Solidarität zu machen“. Er verdeutlichte damit, dass die EU das westliche Mittelmeer wieder als Feld ihrer Außenpolitik wahrnimmt. Lange hatten die Europäer das bereits 1990 gegründete „Fünf plus fünf“-Forum vernachlässigt und auf eine gesamtmediterrane Politik gesetzt. Unter dem Stichwort „Barcelona-Prozess“ sollte der Dialog aller Anrainer des „mare nostrum“ gesucht werden. Ein Unterfangen, das die Balkankriege und vor allem durch den Nahostkonflikt immer wieder zum Erliegen kam. Die EU setzte deshalb in den vergangenen Jahren verstärkt auf bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern.
Eine Politik, die Brüssel auch im westlichen Mittelmeer verfolgte. Die EU hatte gehofft, mit einer Maghrebunion (UMA) zusammenarbeiten zu können. Doch die Regierungen der fünf nordafrikanischen Ländern blieben bei Willensbekundungen. Wie wenig die Einigung vorangekommen ist, zeigen die beiden UMA-Kernländer Marokko und Algerien. Sie halten seit zehn Jahren ihre Grenze geschlossen.
Auch am Wochenende fiel es den Nordafrikanern schwer, über ihren Schatten zu springen. So forderte der marokkanische Monarch Mohammed VI. in seiner Rede die Souveränität seines Landes über die seit 1975 von marokkanischen Truppen besetzte Westsahara. Nachbar Algerien lehnt dies strikt ab. Dort leben über 100.000 Flüchtlinge aus der Westsahara. Und Algier unterstützt die Polisario, die für eine Unabhängigkeit der Westsahara kämpft. Nach der Rede von Mohammed VI. kam es auch nicht zum von vielen erwarteten Tete-a-Tete mit Algeriens Präsident Abdelasis Bouteflika.
Der Westsahara-Konflikt spielt auch auf der anderen Seite des Mittelmeeres eine Rolle. Spanien, einst Kolonialherr des umstrittenen Gebietes, unterstützt ähnlich wie Algerien die Umsetzung des UN-Friedensplans und eines Referendums, Frankreich steht eng an der Seite Marokkos. Wenn Chirac von der Westsahara spricht, redet er von den „marokkanischen Südregionen“.
Ein weiterer umstrittener Fall ist Libyen. Zwar hat sich nach der Aufhebung der Sanktionen gegen Tripolis die Lage entschärft, doch das Problem ist noch lange nicht vom Tisch. Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi machte dies auf seine Art deutlich. Nach der Schlussrede Chiracs applaudierte er nicht und verzichtete auf seine Redezeit. Er protestierte damit gegen die französische Forderung nach 33 Millionen Dollar Entschädigung für die Hinterbliebenen eines Anschlags auf eine französische Verkehrsmaschine 1989.
So kam beim ersten Treffen des „Fünf plus fünf“-Forums trotz der Lobreden aller Beteiligten am Ende nur eine Erklärung heraus, die den guten Willen der Zusammenarbeit der Maghrebstaaten untereinander und mit den europäischen Nachbarn bekräftigt. Konkrete Beschlüsse zur beschworenen Koordination im Kampf gegen den Terrorismus und bei der Immigrationspolitik wurden nicht gefasst.