piwik no script img

Archiv-Artikel

Uuuooorghhh …

Schlimm! Das hat gerade noch gefehlt: Harry Rowohlt im Stimmbruch!

„Ich dachte ja erst, das gehört zur Performance“, erklärte ein Augen- und Ohrenzeuge

Es geschah vorgestern Nacht im legendären Esslinger Maikäferhäusle: Als Harry Rowohlts Lesung in die fünfte Stunde ging und sich aus der bröckelnden Zuhörerschar eine kulturelle Elite von rund zweihundert nimmermüden Einheimischen herausgeschält hatte, blieb dem beliebten Hamburger Übersetzer und Vortragskünstler plötzlich die Stimme weg. „Ich dachte ja erst, das gehört zur Performance“, erklärte ein Augen- und Ohrenzeuge gegenüber dem ZDF, „aber als der Mann dann solche Stielaugen gekriegt und geröchelt und sich an den Hals gefasst hat, bin ich mir da nicht mehr so sicher gewesen …“

Andere Zeugen wollen eine rotblaue Stichflamme aus Harry Rowohlts Rachen hervorzüngeln gesehen haben. Einstimmig wird berichtet, dass der Eppendorfer Endfünfziger im Gesicht vorübergehend schwarz anlief, sich nach einer Schrecksekunde schüttelte und danach mit einer Stimme weiterlas, die sieben oder acht Oktaven tiefer dröhnte und erscholl als seine alte, und die war ja auch nicht eben ein Knabensopran gewesen. Bereits nach zwei Halbsätzen fielen Ziegel vom Dach. Auf dem Nachbargrundstück gerieten Schafe und Enten in Panik und brachten eine schwäbische Eisenbahn zum Entgleisen. Gerichtlich anhängig sind Klagen von Bauern im ganzen Umland: Die Kuhmilch sei sauer geworden, und die psychische Verfassung der Käfigtiere spotte seit der Lesung im Maikäferhäusle jeder Beschreibung.

Dr. med. Andreas Schlüter, Harry Rowohlts Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der eine florierende Praxis in der Eppendorfer Landstraße betreibt, steht vor einem Rätsel. „Der Stimmbruch“, erklärt er, „ist normalerweise ein unkomplizierter humanbiologischer Entwicklungsschritt, den die Stimmbänder des männlichen Jugendlichen nach ungefähr zwölf bis sechzehn Betriebsjahren ausführen. Dass Herr Rowohlt erst jetzt, im hohen Alter, in den Stimmbruch gekommen ist, darf man als außergewöhnlich bezeichnen.“

In der medizinischen Fachliteratur ist der Stimmbruch von jeher nur stiefmütterlich behandelt worden. Die letzte größere Monografie zum Thema wurde 1924 veröffentlicht: „Du und der Stimmbruch – Ein Leitfaden für knospende, kieksende Knaben“. Rüdiger Uhlenhoff, der Autor, praktizierte noch bis in die 1970er-Jahre als Kieferorthopäde in Genf. Zu seinen bekanntesten Patienten gehörten Ivan Rebroff, Bill Ramsey, Lee Marvin, Hans- Jürgen Wischnewski und Fritz Eckenga. Uhlenhoffs Studie gilt in vielerlei Hinsicht als überholt. Sein Ratschlag, den Stimmbruch zu beschleunigen, indem man eine Paketschnur an die Spitze einer langen Schwanenschwanzfeder knotet, die Feder herunterschluckt und sie dann ruckartig wieder herauszieht, damit das Objekt alle Flimmerhärchen in der Speiseröhre des Patienten aufwärts biegt, hat sich nicht bewährt. Schon in der Fachzeitschrift Kehle international (Ausgabe 3/1952) hat ein empörter Kinderarzt recht eindrucksvoll beschrieben, was dabei herausgekommen war, als er das empfohlene Verfahren mit der Schwanenfeder an einem Siebzehnjährigen mit unheilbarer Fistelstimme vollzogen hatte: „Drei Liter undefinierbarer Brei, durchmischt mit Gallensaft und darin eingelagert die zerkauten Restbestände eines Jägerschnitzels, halb verdaute Zwiebelringe und einige braungelbe Schnipsel, deren Herkunft aus einer Champignonzucht weder dem Geruch noch dem Aussehen nach noch anzumerken war. Auf die Stimmhöhe des Patienten hat das Experiment mit der Feder nicht den geringsten Einfluss gehabt, sehr wohl aber auf meinen Ruf in Gelsenkirchen und auch auf die Höhe der Kosten, die ich für die Reinigung meiner Behandlungsräume zu entrichten habe. Dr. Uhlenhoff ist ein Quacksalber!“

Bestätigt wurde dieser Befund in einem Artikel, den die Medizinhistorikerin Gerlinde Rosenblatt 1979 im kanadischen Journal for Radiotherapy publizierte. „Mister Uhlenhoff surely wasn’t a crook“, schrieb Frau Rosenblatt. Aber das ist auch schon alles, was an wissenschaftlichen Untersuchungen des Stimmbruchs existiert.

In den „Tagesthemen“ hat Harry Rowohlt selbst die verfahrene Situation aufzuklären versucht. Seither sind auch Klagen von verkabelten Bauern anhängig, deren Kühe während des Interviews mit Harry Rowohlt verstorben sind. Es sollen auch fünf oder sechs Gebäude im Norden der Stadt eingestürzt sein.

Das ZDF hat mittlerweile offiziell eingeräumt, mindestens zwei Millionen Euro Sachschaden begleichen zu müssen, die erst durch Harry Rowohlts Stimmbruch entstanden seien. Trau, schau, wem. GERHARD HENSCHEL