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Archiv-Artikel

Monstren des Rechtsstaats

Internationales Symposium fordert „angemessenen Umgang“ mit Flüchtlingskindern. In Hamburg leben 10.000 unter dem Damoklesschwert einer Abschiebung. Kritik an willkürlicher Altersfestsetzung und Abschiebehaft für Minderjährige

Von Gernot Knödler

Flüchtlingskinder haben es in Hamburg schwer: Sie werden älter gemacht, als sie sind. Sie werden von ihren Familien getrennt und in Abschiebehaft genommen. Die Chancen, eine Berufsausbildung zu erhalten sind gering. Bei einer Fachtagung zum Thema „Kinder auf der Flucht“ ist deshalb am Sonnabend im Philosophenturm eine Resolution verfasst worden, die diese Missstände abschaffen will. In der Stadt kursiert eine Unterschriftenliste, auf der man sich den Forderungen anschließen kann. In Hamburg lebten am 31. Dezember 2003 rund 10.000 Flüchtlingskinder mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus.

Bei dem Symposium kritisierten verschiedene Redner die Praxis der Altersfestsetzung bei jungen Flüchtlingen in Hamburg. Der Versuch, einen Missbrauch einzudämmmen, sei „umgeschlagen in eine gnadenlose Politik“, schimpfte Fanny Dethloff, die Flüchtlingsbeauftragte der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche. Dabei gehe es allein um die Abwehr von Zuwanderern, wobei sich die Verantwortlichen nicht zu schade seien, bei den Hilflosesten anzusetzen. Seit zwölf bis 13 Jahren befasse sich seine Organisation mit diesem Thema, sekundierte Jochen Menzel von Terre des Hommes. „Es ist, insbesondere in Hamburg, immer nur schlimmer geworden.“

Stefan Berglund vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) verlangte, bei der Feststellung des Alters müssten nicht nur körperliche sondern auch entwicklungsbedingte, psychische und kulturelle Faktoren berücksichtigt werden. Wer aus einem Krieg kommt, sieht mit 14 anders aus als ein behütetes mitteleuropäisches Kind. Über das Alter sollten nur unabhängige Fachleute urteilen, die den kulturellen und ethnischen Hintergrund des Flüchtlings kennen. Selbst dann gelte: „Die Altersfeststellung ist keine exakte Wissenschaft.“ Im Zweifel habe der Schutz des Betroffenen Vorrang. In der Resolution wird gefordert, Flüchtlinge auch mit 16 oder 17 Jahren als Minderjährige zu behandeln, ihnen einen Vormund an die Seite zu stellen und sie jugendgerecht zu betreuen.

Stefan Kurzke-Maasmeier vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge verlangte, die von Flüchtlingen gemachten Altersangaben müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor einem Vormundschaftsgericht überprüft werden. Verfahrenspfleger, Dolmetscher und diverse Experten seien hinzuzuziehen. Die gegenwärtige Praxis des „Altersratens“ gefährde gerade in Hamburg und Berlin die Grundrechte. „Insbesondere AfrikanerInnen werden generell falsche Alters- und Identitätsangaben unterstellt und vorgelegte Papiere wie Schülerausweise oder Geburtsurkunden pauschal als Fälschungen bezeichnet“, referierte Cornelia Gunßer vom Flüchtlingsrat. Menzel bezeichnete ein Clearing-Verfahren außerhalb der Ausländerbehörde als ideal.

Christian Råhbergh von der EU bezeichnete es als „skandalös“, dass Deutschland nicht alle Minderjährigen in die Kinderkonvention der Vereinten Nationen einbezogen hat. Deutschland ist der Konvention unter dem Vorbehalt beigetreten, dass die deutschen ausländerrechtlichen Bestimmungen weiterhin gelten. Rot-Grün hat es dabei belassen. UNHCR betrachte diesen „Sonderweg“ mit Sorge, sagte Berglund.