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Archiv-Artikel

Als die Bilder greifen lernten

Viel Vergnügen mit dem Trash: Wenn das Kino 46 am Freitag sein kleines 3-D-Filmfestival startet, tropfen frischgequollene Gedärme von der Leinwand, dass es eine Lust ist. Dem Rausch der Tiefe erlagen auch Größen wie Hitchcock, Spielberg und Andy Warhol

Von Anfang an wollte das Kino immer größer, lauter, bunter, spektakulärer werden, doch eine Beschränkung der Leinwand ärgerte die Filmemacher besonders: sie war so flach! Mit Perspektive und Tiefenschärfe konnte man vielleicht eine Illusion des räumlichen Sehens schaffen, aber es sah nie so aus, als würde der Zug tatsächlich auf die Zuschauer losfahren.

Deshalb hatte man schon in der Stummfilmzeit mit einer dreidimensionalen Bildwirkung im Kino experimentiert, und technisch war das Problem auch bald gelöst: Man brauchte nur jedem einzelnen Auge des Betrachters ein anderes Bild zu liefern. Diese mussten simultan aus leicht verschobenen Blickwinkeln die gleiche Szene zeigen – und das Gehirn setzte dann beide Blickimpulse in ein räumliches Bild zusammen. Damit war das Unterkapitel der Filmgeschichte aufgeschlagen, dem das Kino 46 jetzt ein kleines Festival widmet: Der dreidimensionale Film.

1922 gab es in Los Angeles die ersten Vorführungen. Allerdings war das Verfahren mit jeweils zwei Kameras und zwei Vorführgeräten, die genau synchron laufen mussten, sehr aufwändig. Außerdem mussten die Zuschauer auch noch Brillen mit beschichteten Folien tragen. Von denen bekamen viele Kopfschmerzen: Die 3-D-Verfahren „konnten sich wegen des technischen Aufwands bei Aufnahme und Projektion sowie filmästhetischen Hemmnissen nicht durchsetzen“, schreibt James Monaco in seinem Standardwerk „Film verstehen“. Doch in den 50er-Jahren erlebte der 3-D-Film eine kurze Blüte. Damals kämpfte Hollywood mit allen Mitteln gegen die aufziehende Konkurrenz des Heimkinos. Neben Gimmicks wie dem Geruchskino und leichten Stromstößen, die bei Horrorfilmen in die Stuhlreihen ausgewählter Kinos geleitet wurden, produzierte man auch einige B-Movies im 3-D-Verfahren.

Manchmal sind deren Effekte wirklich verblüffend – etwa wenn der Arm der „Creature from the Black Lagoon“ plötzlich aus dem sumpfigen Amazonas auftaucht und direkt nach dem Zuschauer grapscht: In Bremen am kommenden Montag zu erleben. Aber dieser Abenteuerfilm von Jack Arnold aus dem Jahr 1954 blieb auch der einzige wirklich erfolgreiche 3-D-Film. Eröffnet wird die Reihe jedoch mit einem anderen Klassiker: „Dial M For Murder“ von Alfred Hitchcock. Dem war es allerdings so peinlich, dass er Grace Kelly auch dreidimensional hatte nach der Schere hat greifen lassen, dass diese Version erst in den 80er-Jahren ins Kino kam. „Ein neun Tage Wunder – und ich mache es am neunten Tag“, so sein Kommentar.

Kurzlebig war die Mode tatsächlich. Aber in den 70er-Jahren wurde sie nostalgisch wiederbelebt: Trash war gesellschaftsfähig geworden. Es entstanden Filme wie „Fantastic Invasion of Planet Earth“: Darin gebe es „weder Außerirdische, noch eine Invasion und auch sonst nicht viel Aufregendes“ warnten Kritiker. Doch da bei diesen Filmen der Grundsatz „je schlechter desto besser“ gilt, ist dies schon eher eine Empfehlung.

Der wahre Meister dieses Prinzips war natürlich Andy Warhol, und so ist es nicht verwunderlich, dass auch er einen 3-D-Film produzierte: Mit „Flesh for Frankenstein“ wollten er und das Factory-Mitglied Paul Morrissey wohl den ekligsten Film aller Zeiten drehen. Sie ließen dafür Gedärme von der Leinwand tropfen und rieben dem Zuschauer die aufgespießten Leber eines geschlachteten Menschen so nah wie technisch nur möglich unter die Nase. Damit brachten sie das Sub-Genre auf den Punkt – denn die 3-D-Technik diente fast ausschließlich dazu, das Publikum endlich einmal ordentlich zu erschrecken.

Wilfried Hippen

3-D-Filmfestival vom 12. bis 16.12, Kino 46. Infos: morgen in der Kino-taz