: Halleluja, der Norden wird selig
Drei katholische Geistliche, die 1943 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, sollen vom Papst selig gesprochen werden. Der vierte der „Lübecker Märtyrer“ war ein Protestant – auch er soll „nicht völlig außen vor bleiben“
aus HamburgAlexander Diehl
Er hoffe den Ausgang noch zu erleben, sagte Hamburgs Erzbischof Werner Thissen am vergangenen Freitag. Kurz zuvor, am selben Nachmittag, war die „sessio primo“ zu Ende gegangen, die erste Sitzung, gemäß katholischem Kirchenrecht der Beginn eines bischöflichen Erhebungsverfahrens. An dessen Ende muss geklärt sein, ob im Falle der drei Lübecker Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek einer Seligsprechung etwas im Wege steht. So darf es „keinen vernünftigen Zweifel“ geben „an der Würdigkeit und dem Martyrium der Lübecker Geistlichen“; auch dürfen keine politischen, sondern einzig religiöse Motive vorliegen.
Dieses Verfahren kann Jahrzehnte dauern, die letzte Entscheidung liegt beim Papst, und deshalb mochte Thissen auch auf Nachfrage keine Prognose abgeben, wann es denn wohl so weit sein könnte.
Kritik von der Kanzel
Zusammen mit dem ebenfalls in Lübeck wirkenden evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink waren die drei Katholiken zwischen April und Juni 1942 zusammen mit 18 Gemeindemitgliedern vor den Volksgerichtshof gestellt worden. Während die ebenfalls angeklagten Laien zumeist kurze Haftstrafen erhielten, wurden die vier Geistlichen zum Tode verurteilt und am 10. November 1943 im Hamburger Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis hingerichtet.
Zur Last gelegt wurde den vier später als „Lübecker Märtyrer“ zusammengefassten Priestern „Rundfunkverbrechen“ – nämlich das Hören ausländischer „Feindsender“ –, „landesverräterische Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft“. In seinen „Gesprächskreisen“ und von der Kanzel herab hatte Kaplan Johannes Prassek offen Kritik geübt und zudem Predigten von Clemens August Graf von Galen, seit 1933 Bischof in Münster, weiterverbreitet. Dieser, bereits zuvor einer der wenigen Kirchenleute, die es wagten, sich gegen das herrschende System zu wenden, griff ab 1941 die staatlich betriebene Euthanasie an – er soll im nächsten Jahr selig gesprochen werden.
Neben Prassek war Hermann Lange aktiv an der Verteilung der kritischen Predigten in Flugblattform beteiligt. Der dritte Kaplan, Eduard Müller, dürfte der am wenigsten politisch ambitionierte gewesen sein, war aber dabei, wenn die anderen ausländische Rundfunksender abhörten.
Unter den vier Märtyrern die heftigste Kritik am Nationalsozialismus übte der Protestant Stellbrink – umso bemerkenswerter, als er die ambivalenteste Biographie der vier aufweist: 1929 trat der Weltkriegsversehrte in die NSDAP ein und galt vielen als „Nazipastor“. Ab 1932 war Stellbrink gar Mitglied der „Deutschkirche“, die das Christentum als „arische Religion“ definierte und das als „jüdisch“ angesehene Alte Testament ablehnte.
Umso drastischer Stellbrinks Enttäuschung und sein Umdenken, als die Nationalsozialisten tatsächlich die Macht innehatten: 1936 wurde er aus der Partei ausgeschlossen und wegen seiner Predigten von der Gestapo verwarnt. Am Tag nach der Lübecker Bombennacht, am Palmsonntag 1942, deutete er die Zerstörungen als eine Art Gottesgericht – daraufhin folgte die Verhaftung. Bereits zuvor hatte indes seine Kirche ein Disziplinarverfahren eingeleitet und Stellbrink das Amt aberkannt.
Während die drei Kapläne jedoch bereits nach Kriegsende von der katholischen Kirche gewürdigt worden sind, hatte die Nordelbische Kirche lange ein Problem mit dem gewandelten Stellbrink.
Eine Sache der Ökumene
„Ihr Blut floss ineinander“, hieß es nachträglich über die vier Hingerichteten. Auch Erzbischof Thissen betonte nun: „Die vier Märtyrer gehören zusammen.“ Wenngleich die Seligsprechung für den Protestanten Stellbrink keine Anwendung finden kann, dürfe dieser „nicht völlig außen vor bleiben“. So macht sich die Nordelbische Kirche nun daran, seine Rolle zu würdigen – eine „ökumenische Begleitgruppe“ soll hinzugezogen werden.
Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Thissen die Seligsprechung erstmals öffentlich angeregt, es folgte ein mehrere Monate umfassendes Vorverfahren, bei dem unter anderem alle 27 katholischen Bischöfe im Land zugestimmt hatten. Und die verschiedenen Konfessionen der Märtyrer sieht der Erzbischof als „eine ökumenische Chance, nicht als Problem“. Das Entscheidende, sagte er in der vergangenen Woche, geschehe ja mitnichten mit den Seliggesprochenen, „die kommen jetzt nicht näher zu Gott“. Das Entscheidende „geschieht mit uns“.