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Archiv-Artikel

Mit Koran und Grundgesetz

Seit 25 Jahren wird ein islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen gefordert. Die rechtlichen Anforderungen, die sich an den Kirchen orientieren, stehen ihm im Wege

Gegen den Verband Ditib, der eng mit der Türkei verbunden ist, spricht das staatliche Neutralitätsgebot

In der aktuellen Debatte um die Integration der in Deutschland lebenden muslimischen Migranten wird immer wieder die Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht, in deutscher Sprache und in staatlicher Verantwortung, laut. Mit einem solchen Islamunterricht könne man dafür sorgen, „dass unser Wertesystem von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten zur Grundlage dieses Unterrichts wird“ und damit privat organisierten Korankursen dubioser Gruppen das Wasser abgraben, findet etwa die Parteichefin der Grünen, Claudia Roth. Der Gedanke ist allerdings nicht neu: Ein islamischer Religionsunterricht wird von den hier lebenden Muslimen bereits seit den Siebzigerjahren gefordert. Seitdem wird hierzulande zu diesem Thema ausgiebig diskutiert, experimentiert und prozessiert.

Trotz aller Anstrengungen war es aber bislang in keinem Bundesland möglich, einen regulären islamischen Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung, unter Beteiligung einer islamischen Religionsgemeinschaft, einzuführen. Stattdessen gibt es bislang nur die nicht mehr zeitgemäße Form eines Islamunterrichts in türkischer Sprache als Teil des muttersprachlichen Unterrichts sowie eine Reihe von Modellversuchen. Dazu gehört der viel beachtete Schulversuch in NRW, der an immerhin 110 Schulen ganz ohne die Beteiligung islamischer Verbände durchgeführt wird, sowie ein Schulversuch in Niedersachsen, der an lediglich 8 Grundschulen unter Beteiligung muslimischer Verbände angeboten wird. (Eine absolute Ausnahme bildet Berlin mit seinem privat organisierten Religionsunterricht durch die Islamische Föderation, die 1998 vom Oberverwaltungsgericht in Berlin als Religionsgemeinschaft anerkannt wurde. Dieses Beispiel ist aufgrund der völlig anderen Rechtslage aber nicht auf andere Bundesländer übertragbar).

Den größten Stolperstein für islamischen Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung bildet bislang das rechtliche Konstrukt der Religionsgemeinschaft, das sich am Modell der großen christlichen Kirchen orientiert. In der juristischen Diskussion werden vier Merkmale genannt, die erfüllt werden müssen, um vom Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Dies sind: Zusammenschluss natürlicher Personen zu einer Vereinigung, Verfestigung (Gewähr für eine gewisse Dauer), gemeinsames religiöses Bekenntnis und umfassende Glaubensverwirklichung.

Für die islamischen Dachverbände in Deutschland waren diese Hürden bislang unüberwindbar. Sowohl der Zentralrat der Muslime in Deutschland als auch der Islamrat, die schon im Jahr 1999 ein gemeinsames Curriculum für einen deutschsprachigen Religionsunterricht vorgelegt haben, sind nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 2. Dezember 2003 keine Religionsgemeinschaft. Ihre Mitglieder sind keine natürlichen Personen, beide sind vielmehr Zusammenschlüsse von Moscheevereinen.

Das Urteil bedeutet, dass beide Verbände zumindest in NRW als Ansprechpartner für einen regulären islamischen Religionsunterricht nicht in Frage kommen. In den Kultusbehörden der Länder wurde das Münsteraner Urteil mit Erleichterung aufgenommen, denn weder Zentralrat noch Islamrat erfreuen sich bei den verantwortlichen Bildungspolitikern großer Beliebtheit. Manche ihrer Mitgliedsorganisationen, etwa die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs beim Islamrat, stehen bei einigen Verfassungsschutzbehörden der Länder unter Islamismusverdacht.

Der größte islamische Dachverband, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), ist von diesem Verdacht bislang frei geblieben. Denn Ditib vertritt den türkischen Staatsislam. Was darunter zu verstehen ist, definiert das Präsidium für Religionsangelegenheiten in Ankara, das dem türkischen Ministerpräsidenten in direkter Linie untersteht.

Der Islam der Ditib-Moscheen gilt als moderat und modern. So verwundert es nicht, dass Ditib von der Politik mittlerweile als privilegierter Ansprechpartner behandelt wird. Ditib sitzt (gemeinsam mit einem Zusammenschluss von lokal arbeitenden Moscheegemeinden, der Schura-Niedersachsen) derzeit am „runden Tisch“ des niedersächsischen Bildungsministeriums und nimmt Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des dortigen Islamunterrichts. In anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, möchten manche Politiker dieses Modell offenbar wiederholen.

Wäre Ditib ein unabhängiger Verband, könnten dagegen keine Einwände erhoben werden. Trotz gegenteiliger Behauptungen der Führungsspitze ist das aber nicht der Fall, wie die Fakten zeigen: So ist der Ditib-Vertreter am „runden Tisch“ in Niedersachsen ein Beamter des türkischen Konsulats; den Vorsitz im Verband führt ein Botschaftsrat. Es sind schließlich auch die türkische Botschaft und die nachgeordneten Konsulate, welche die knapp 700 Imame der Ditib-Moscheen beaufsichtigen.

Für die gegenwärtig allseits geforderten Integrationsbemühungen im Sprachbereich ist diese Ditib-Anbindung an die Türkei nicht von Vorteil. So wird in den Beschlüssen des III. Religionsrates, der vom 20.–24. September tagte, empfohlen, dass bei der Erteilung von Religionsunterricht in Moscheeräumlichkeiten auf die Benutzung der türkischen Sprache Wert gelegt werden solle. Türkisch als Unterrichtssprache wünscht die Religionsbehörde im gleichen Papier auch im staatlichen Religionsunterricht in Deutschland, sofern daran ausschließlich türkische Kinder teilnehmen.

Mit Ditib als wichtigstem Ansprechpartner kann es in Deutschland darum keinen unabhängigen islamischen Religionsunterricht in Deutschland geben. Denn türkische Botschaftsräte und Konsulatsbeamte, die den Interessen ihrer Dienstherren verpflichtet sind, können für die Kultusverwaltungen der Länder keine geeigneten Kooperationspartner sein: Dagegen spricht allein schon das in der Verfassung festgeschriebene Gebot staatlicher Neutralität in Sachen Religionsausübung.

Islamischer Einheitsunterricht hat keine Zukunft: Zwischen den Gruppen überwiegen die Unterschiede

Einen erfolgreichen islamischen Religionsunterricht kann es nur dann geben, wenn die in Deutschland lebenden Muslime in die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts miteinbezogen werden. Die Muslime in Deutschland benötigen deshalb repräsentative demokratische Gremien auf Landesebene, die vom Staat anerkannt werden sollten. Rechtliche Hindernisse, die einer solchen staatlichen Anerkennung entgegenstehen, müssen endlich aus dem Weg geräumt werden: Ganz oben auf der Liste steht das an den Kirchen orientierte rechtliche Konstrukt der Religionsgemeinschaft.

Verabschieden sollte man sich auch vom Konzept eines islamischen Einheitsunterrichts, das bisher favorisiert wurde. Zwischen den verschiedenen islamischen Gemeinschaften gibt es einfach zu große Unterschiede: Allein eine Zwangsvergemeinschaftung von türkischen Aleviten und türkischen Sunniten aber wird schon mit Sicherheit nicht funktionieren.

MICHAEL KIEFER