Hartz-Gegner siegen vor Gericht

Sofortige Meldepflicht für gekündigte Arbeitnehmer in drei Berliner Fällen für unwirksam erklärt. In Frankfurt (Oder) sprechen Richter gar von „Schikane“. Das letzte Wort zu der Reform haben wohl mal wieder die Karlsruher Verfassungsrichter

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Das Sozialgericht Berlin hat ein Herz für Arbeitslose. In einem wichtigen Aspekt der Hartz-I-Reform hat es die „unverzügliche“ Meldepflicht für gekündigte Arbeitnehmer abgemildert.

Bis Juli 2003 genügte es, wenn ein Arbeitssuchender sich am letzten Tag vor Beginn der Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt meldete. Die Bundesregierung fand jedoch, dass hier wertvolle Zeit für die Arbeitsvermittlung verschenkt wird. Im Rahmen der Hartz-Reformen wurde deshalb die Vorschrift eingefügt, dass die Meldung bei der Behörde, die jetzt Agentur für Arbeit heißt, „unverzüglich“ zu erfolgen hat.

In drei Fällen musste sich jetzt das Sozialgericht Berlin mit der Anwendung dieser Vorschrift beschäftigen. Nach Ansicht der Agentur für Arbeit haben Arbeitnehmer nach Erhalt der Kündigung sieben Tage Zeit, sich bei der Vermittlung zu melden, ansonsten wird ihr Arbeitslosengeld gekürzt. Laut Gesetz beträgt die Kürzung je nach Einkommen 7 oder 35 oder 50 Euro pro Verzögerungstag.

Eine Bahnarbeiterin, die sich erst nach neun Tagen bei der Agentur meldete, bekam deshalb 14 Euro abgezogen. Das Sozialgericht Berlin fand das unnötig und hob die Strafe auf. Nur „grob fahrlässige“ Verzögerungen sollen bestraft werden können.

In einem zweiten Fall hatte sich eine Angestellte nach Ansicht der Agentur 48 Tage zu spät gemeldet. Auch hier hob das Sozialgericht die Kürzung auf, weil die Arbeitslosigkeit dank langer Kündigungsfristen erst sieben Monate später eintreten sollte.

Der dritte Fall betraf einen Zeitvertrag. Hier heißt es im Gesetz, dass die Meldung „frühestens“ drei Monate vor Vertragsende erfolgen muss. Die Agentur fand, dass die Meldung dann sofort bei ihr einzugehen hat und bestrafte eine Friseurin, die sich erst meldete, als klar war, dass sie später nicht in ein unbefristetes Verhältnis übernommen wird. Auch diese Entscheidung hob das Sozialgericht auf.

Da es zu diesen Fragen noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, ließ das Sozialgericht die Sprungrevision zum Bundessozialgericht in Kassel zu. Laut Gesetz müssen Arbeitgeber bei der Kündigung ihre Noch-Beschäftigten gleich auf die Meldepflicht hinweisen. Nach Inkrafttreten der Reform im Juli hatten viele Arbeitgeber das nicht getan. In diesen Fällen liege auch kein Verschulden der Beschäftigten vor, entschied damals das Sozialgericht Freiburg. Es bestehe keine Pflicht, die komplizierten Sozialreformen in den Medien mitzuverfolgen.

Nachdem die nächste Instanz dieses Urteil aufhob, liegt inzwischen auch dieser Fall in Kassel. Ganz radikal zeigte sich im April das Sozialgericht Frankfurt (Oder). Es hält die ganze Vorschrift für einen unverhältnismäßigen Eingriff in den vom Grundgesetz geschützten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit mache die unverzügliche Meldepflicht die Betroffenen nur zu „frühzeitigen Karteileichen“. Es gehe letztlich nur um eine „Schikane“, mit deren Hilfe das Arbeitslosengeld gekürzt werden könne. Das Gericht legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor.

Neben dieser Neuregelung steht auch Hartz IV weiter in der juristischen Kritik. Die PDS hält die Befristung des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate und die anschließende Absenkung auf Sozialhilfeniveau für verfassungswidrig. Sie hat daher bei dem Berliner Rechtsanwalt Ulf Wende ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben, das allerdings erst im Januar fertig gestellt sein soll. Da die PDS nicht selbst in Karlsruhe klagen kann, will sie es Betroffenen zur Verfügung stellen, um deren Klagen zu unterstützen.

MITARBEIT: TORBEN IBS