: „Instrument für eine demokratische Elite“
Das Internet „kann lokale Kommunikation, das Herzstück jeder lebendigen Demokratie, auch global erweitern“, meint der Politologe Claus Leggewie
taz: Herr Leggewie, macht das Internet die Demokratie demokratischer?
Claus Leggewie: Neue Medien haben für die Demokratie stets Veränderungen gebracht, positive wie negative. Noch nie haben sich so viele Menschen für Politik interessiert wie seit Erfindung des Fernsehens und vorher schon des Rundfunks. Doch gleichzeitig förderte das Fernsehen die „Zuschauerdemokratie“ – man sitzt daheim im Fernsehsessel, schaut mehr oder weniger konzentriert hin, meckert ein bisschen und zappt weiter. Phänomene der Zerstreuung von Öffentlichkeit, des übertriebenen Infotainments und der Stilisierung von Sachalternativen zum Personenduell sind nicht neu, und das alles kann man im Netz wiederholen und sogar noch steigern.
Worin liegt das eigentliche Potenzial des Internets?
Es liegt in der Interaktivität, der permanenten Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger, und auch im Einsatz des Computers als „intelligenten Agenten“, der mir Informationen gibt, die ich sonst nicht bekomme. Die Autonomie des Empfängers, der zum Sender geworden ist, ist höher als in den herkömmlichen Massenmedien, deswegen eignet sich das Internet für die demokratische Mitwirkung.
Wie können solche Partizipationsmodelle aussehen?
Manche sehen „Wählen per Computer“ als den Königsweg der elektronischen Demokratie, ich halte das für einen Holzweg. Wichtiger erscheinen mir kleine, von Moderatoren strukturierte Diskussionsforen, an denen sich relativ wenige Menschen, dafür aber sehr intensiv beteiligen. Das Internet kann zur Verwirklichung des alten Prinzips „Regierung durch Diskussion“ beitragen, also dem gut informierten Bürger und einer kritischen Öffentlichkeit die sachlichen Grundlagen für demokratische Entscheidungsprozesse liefern. Beispielsweise zu lokalen Themen wie der Gestaltung eines Platzes oder dem Für und Wider einer Mülldeponie.
Das Internet als lokale Onlineversammlung in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Globalisierung?
Das Internet kann die lokale Kommunikation, das Herzstück jeder lebendigen Demokratie, auch global erweitern, in eine Kommunikation unter Abwesenden. Nehmen wir als Beispiel die Agenda 21, die beispielsweise deutsche Gemeinden mit denen in einem westafrikanischen Land zusammengebracht hat. Die durchaus gemeinsamen Umweltprobleme lassen sich über das Netz hervorragend diskutieren. NGOs und Globalisierungskritiker haben diese Chancen bisher kaum genutzt, manche noch nicht einmal erkannt.
Aber profitiert von dem Internet nicht doch nur eine kleine digitale Elite? Fördert das Internet nicht eine Art Zweiklassengesellschaft, eingeteilt in „User“ und „Loser“?
Politische Kommunikation in dieser Dichte und Tiefe ist immer nur für eine kleine, demokratische Elite da, und deshalb muss man sich nicht genieren, das Internet als Instrument für ebendiese Elite zu gestalten, unter der Voraussetzung natürlich, dass zu dieser virtuellen Öffentlichkeit alle Zugang haben. Mehr kann man nicht machen. Ich kann ja auch niemanden verpflichten, Zeitung zu lesen oder ein Radio zu kaufen und dort politische Sendungen zu hören.
Doch wie sieht die Situation für die Schwellenländer aus? Nach Angaben der Weltbank befinden sich nur 10 Prozent aller Internetanschlüsse außerhalb der Industrienationen. Alleine in Manhattan soll es mehr Internetanschlüsse geben als in ganz Afrika.
Das große Problem der digitalen Spaltung ist tatsächlich das zwischen Nord und Süd, eine zentrale entwicklungspolitische Frage, zum Beispiel für die Weltbank. Aber neue Kommunikations- und Informationstechnologien sind relativ billig.
Auch wenn die Infrastruktur fürs Internet weniger kostet – woher soll das benötigte Geld kommen?
Man könnte von einem „Marshall-Plan“ für eine gerechte Kommunikationsordnung träumen, aber realistischer ist das Interesse der Wirtschaft an globaler Interkonnektivität. Unternehmen haben ja ein hohes Interesse daran, dass möglichst viele Leute weltweit vernetzt sind, und solche Anreize, die mit der politischen Nutzung zunächst einmal nichts zu tun haben, sind in Schwellenländern längst vorhanden. Und diese werden auch in die freie wissenschaftliche Kommunikation einbezogen, mit der das Recht auf Kommunikation steht und fällt. Beides wird die digitale Spaltung nicht beseitigen, aber abmildern. INTERVIEW: ANDREAS BAUER