: Last-Minute-Wochen bei Körting Air
Im Januar tritt das Zuwanderungsgesetz in Kraft – und damit die neue Härtefallregelung. Vier Abschiebehäftlinge hätten dann gute Chancen, in Berlin zu bleiben. Ehrhart Körting will sie dennoch in diesem Jahr abschieben. Damit bricht der Innensenator sein Wort
VON FELIX LEE UND JOCHEN SETZER
Sie sprechen fließend Deutsch, haben Familie und zum Teil steuerpflichtig gearbeitet. Seit vielen Jahren leben sie in Berlin. Und trotzdem sollen sie abgeschoben werden. Wahrscheinlich noch in diesem Monat.
Zika Stankovic
Zika Stankovic (40) ist Rumäne mit serbischem Pass. Aus Sicht der serbischen Behörden ist er aber „Roma“. In seiner Heimat gilt er daher als „nicht erwünscht“. Das wusste Stankovic auch schon 1978, als er das erste Mal nach Deutschland einreiste. Schon damals wollten ihn die deutschen Behörden nicht. 1983 musste er Deutschland wieder verlassen, verbrachte einige Jahre in der Schweiz, bis ihm 1990 erneut die Einreise gelang. Seit 14 Jahren lebt er nun ohne Unterbrechung in Berlin.
Zika spricht fließend Deutsch und hat vier Kinder. Aus erster Ehe hat er eine inzwischen 24-jährige Tochter. 1994 heiratete er seine jetzige Frau aus seiner Heimat. Mit ihr hat er drei Söhne. Auch sie leben in Berlin.
Seine Frau gründete eine Reinigungsfirma, bei der er mitarbeitete. Monatlicher Umsatz: rund 13.000 Euro. Seine Frau und seine Kinder erhielten eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Stankovic selbst nicht. Negativ ausgelegt wird ihm sein Strafregister: Schon einmal musste er 7.000 Euro Strafe zahlen, weil er ohne Führerschein fuhr. Im Sommer dieses Jahres wurde er wegen einer Autogeschichte ein zweites Mal belangt: 80 Tage Vollzug in Plötzensee. Zurück zu seiner Familie kam er seitdem nicht mehr. Noch am Tag seiner Entlassung aus Plötzensee wurde er nach Grünau verlegt. Dort sitzt er seit dem 16. September.
Azem Marusic
Als Azem Marusic von der bosnischen Armee eingezogen wurde, ahnte er noch nicht, dass er seine bosnische Heimat mal für so lange Zeit verlassen würde. Seine Frau Razija war zu dieser Zeit schwanger. Daher schickte er sie mit den drei Kindern ins sichere Kroatien. Sobald die Kämpfe in Bosnien abflauten, holte er sie wieder zurück. Jedoch nur für kurze Zeit. Der Krieg flammte erneut auf.
Seit November 1994 lebt die sechsköpfige Familie nun in Berlin, und Azem graut aus es vor der Rückkehr nach Bosnien. Alle vier Kinder gehen auf deutschsprachige Schulen, sie haben deutsche Freunde, auch ihre Muttersprache ist Deutsch.
Azem und seine Frau werden von der Vergangenheit immer wieder eingeholt. Trotz der inzwischen zehn Jahre haben sie die Kriegserlebnisse bis heute nicht verarbeitet. „Posttraumatisches Belastungssyndrom“ lautet der Fachterminus, unter dem viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien leiden.
Doch die Ausländerbehörde wollte die Gutachten und ärztlichen Atteste nicht anerkennen. Unter dem Druck der sofortigen Abschiebung stimmte Vater Azem im Frühjahr dieses Jahres einem Vergleich des Oberverwaltungsgerichts zu, der sie aufforderte, innerhalb von vier Monaten auszureisen. Die Frist lief ab und sie blieben. Seit Juli leben sie nun statuslos in Berlin. Inzwischen hat ihr Anwalt erneut ein Rechtsschutzverfahren eingeleitet. Doch auch er hat nur wenig Hoffnung. Die Abschiebung der Familie steht unmittelbar bevor.
Hazir Veljija
Hazir Veljija ist Kosovo-Albaner und lebt seit 1969 in Deutschland. Damals wurde er über eine jugoslawische Baufirma als „Gastarbeiter“ angeworben. Sein verdientes Geld schickte er seiner Frau Sanije und seinen beiden Kindern Cefsere und Adem in das Kosovo.
Er arbeitete viel, und das Geld reichte für ein Haus, das er seiner Familie in einem idyllischen Dorf namens Dumnica e Ult bauen konnte. Auch er wollte irgendwann zurück in das Kosovo. Doch dann kam alles anders: 1998 brach der Krieg aus und Hazir musste seine Familie nach Berlin holen. Da im Kriegszustand im Kosovo kein Visum zu bekommen war, reisten seine Frau und die Kinder illegal ein.
Vorerst wurden sie von den deutschen Behörden geduldet. Cefsere und Adem lernten Deutsch, gingen zur Schule. Tochter Cefsere machte den erweiterten Hauptschulabschluss, Sohn Adem die mittlere Reife, beide begannen sie eine kaufmännische Ausbildung. Doch nun sollen die inzwischen 26-jährige Tochter und der 21-jährige Sohn abgeschoben werden. Beide wissen gar nicht, wohin sie im Kosovo sollen. Das Elternhaus gibt es schon lange nicht mehr. Es wurde bombardiert und ist ausgebrannt. Cefsere sitzt bereits in Grünau, Adem ist untergetaucht. Er wird nun per Haftbefehl gesucht.
Manuel Barros
Es war noch die DDR, die ihn, Manuel Lucia dos Años Barros, 1989 aus Angola nach Berlin holte. Schweißarbeiter wurden damals vom Arbeiterstaat händeringend gesucht. Dann kam die Wende. Der damals 21-Jährige durfte trotzdem bleiben. Ein befristetes Bleiberecht erhielt er, das er alle paar Monate mit einem Gang zur Ausländerbehörde verlängern konnte.
Er lernte Deutsch, fand einen Job als Fabrikarbeiter in einem Garnwerk in Karlsruhe, arbeitete dann als Küchenhilfe bei einem Catering-Service. Sozial engagierte er sich in einem Kulturzentrum in Lichtenberg und gab dort Trommelkurse. Dass ihm irgendwann die Abschiebung drohen würde – damit hatte er nach all den Jahren nicht mehr gerechnet. Auch seine Gesundheit sprach gegen eine Ausweisung. Manuel leidet an einer schweren Herz-Kreislauf-Krankheit und muss täglich Medikamente einnehmen, die es in seinem Heimatland nicht gibt.
2002 wurde seine Aufenthaltsgenehmigung dann aber doch nicht verlängert. Er wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Manuel blieb aber in Berlin, illegal. Bis er am 16. September beim Schwarzfahren erwischt, verhaftet und gleich am nächsten Tag nach Grünau gebracht wurde. Dort sitzt er seit nunmehr zweieinhalb Monaten. Sein Gesundheitszustand hat sich zwischenzeitlich so dramatisch verschlechtert, dass er ins Haftkrankenhaus nach Moabit verlegt werden musste. Auch seine Abschiebung ist noch in diesem Monat vorgesehen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen