: Wunschkonzert
Die Hamburger Journalistengewerkschaft dju fordert für die Hansestadt eine neue, unabhängige Zeitung. Ideen zur Umsetzung hat sie nicht
AUS HAMBURG MARCO CARINI
Der Titel war anspruchsvoll, die Vorgaben gering. Unter dem Motto „Hamburg braucht eine neue Tageszeitung“ hatte die an Ver.di angeschlossene Deutsche Journalistenunion (dju) am Dienstagabend ins Café des Hamburger Schauspielhauses geladen. „Wir haben keinen Dummy, kein Konzept“, warnte dju-Sprecher Fritz Gleis gleich zu Beginn der von etwa 150 Medienschaffenden besuchten Veranstaltung. Einig seien sich die Veranstalter nur darin, dass die „Presseeinöde“ der Elbmetropole aufgebrochen werden müsste.
Eine „beispiellose horizontale Konzentration“ bestimme das tägliche Printmedienangebot der Hansestadt, erläuterte Medienwissenschaftler Hans Kleinsteuber die Ausgangslage. Rund 80 Prozent Marktanteil bei den Hamburger Tageszeitungen halten die Bild Hamburg, das Hamburger Abendblatt und die Lokalausgabe der Welt, allesamt aus dem Hause Springer. Daneben blühen in der Hamburger Pressewüste nur noch das kleinformatige Boulevardblättchen Hamburger Morgenpost und der Lokalteil der taz. Dass dieser seit seiner Reduzierung auf zwei tägliche Hamburg-Seiten von den dem linksliberalen Spektrum entstammenden Anwesenden nicht mehr als „qualitative und quantitative Alternative“ wahrgenommen wird, machten gleich mehrere Redner deutlich.
Da inhaltliche und finanzielle Vorgaben fehlten, durfte bei dem Journalistenmeeting ganz kräftig gewünscht werden. Ein Hamburg-Teil der Süddeutschen Zeitung wurde dabei ebenso herbeigeträumt wie die Wiederaufnahme des gerade erst gescheiterten Experiments des Berliner Tagesspiegel mit einer Lokalausgabe. Mahnende Stimmen, den Korb tiefer zu hängen, gingen in dem Wunschkonzert weitgehend unter. Etwa die Aufforderung des Hamburger Ver.di-Chefs Wolfgang Rose, erst einmal darüber nachzudenken, wie den kritischen Geistern in den Redaktionen der Rücken gestärkt werden könne. Oder auch die Anregung des ehemaligen Hamburger dju-Vorsitzenden Jürgen Bischoff, das Internet verstärkt zu nutzen, da die Idee eines neuen Lokalblatts zwar „hübsch, aber nicht finanzierbar“ sei.
Bereits seit Ende der Sechzigerjahre, als unter Mitarbeit des heutigen Spiegel-Chefs Stefan Aust die St. Pauli Nachrichten sich ein halbes Jahr als linke Tageszeitung hielten, hat es zahlreiche Versuche gegeben, die Hamburger Medienlandschaft aufzumischen. Doch weder die 1981 entstandene Wochenzeitung Hamburger Rundschau (HR) noch eine tägliche achtseitige Hamburger Lokalausgabe der taz oder das alternative Anzeigenblatt HH 19 entwickelten genügend Ausstrahlungskraft auf Leser und Anzeigenkunden, um langfristig zu überleben.
„Die HR acht Jahre am Markt zu halten war das teuerste Hobby meines Lebens“, bekannte der frühere Herausgeber Jo Müller und warnte damit vor einer Neuauflage solch kostspieliger Experimente. Die Frage der Finanzierbarkeit eines neuen täglichen Printmedienangebots für die Hansestadt blieb an diesem Abend aber ebenso ausgeklammert wie die Frage journalistischer Qualitätsansprüche an solch ein Projekt. Schließlich sei es nur darum gegangen, so Mitinitiator Gleis, „eine Debatte neu zu entfachen, die seit langem schwelt“. Dass zumindest das gelungen ist, belegen die Reaktionen. Ein leitender Redakteur der Morgenpost kündigte aufgrund der Veranstaltung postwendend seine Mitgliedschaft in der dju. Und ein Kollege des Abendblatts analysierte im Vorfeld unverblümt: „Wenn da was rauskommt, macht Springer das doch sofort platt.“