: In die Falle gelockt
VERFASSUNGSSCHUTZ Hamburger Landesamt nötigt einen Marokkaner, die linke Szene auszuspionieren, um nicht abgeschoben zu werden. Die Ausländerbehörde mischt mit einem fingiertem Asylantrag auch noch mit
Neben Besuchen im autonomen Zentrum „Rote Flora“ schickte Verfassungsschutz-Mann „Nils“ den Studenten Yassir Miloudi auch zu Lesungen im „Libertären Zentrum“ oder zu Filmabenden wie im „Café Knallhart“ an der Uni: Dort wurde ein Film über die Krawalle beim EU-Gipfel in Göteborg gezeigt. „Ich sollte berichten, was dort diskutiert wurde“, sagt Miloudi. Auch zu Antifa-Demos sollte er gehen. Stets sollte er sich „auf die wichtigen Organisatoren und Personen konzentrieren, nicht auf die Trottel, die Krawall machen“. Allerdings habe er nie von konspirativen Aktionen erfahren. KVA
VON KAI VON APPEN
In Hamburg arbeitet die Ausländerbehörde offenbar eng mit dem Verfassungsschutz zusammen. Kommt ein Ausländer in eine Notsituation, wird der Geheimdienst vorstellig und bietet einen Aufenthaltsstatus an – als Gegenleistung fürs Spitzeln. Dafür nehmen beide Behörden Rechtsbeugung in Kauf. Quittiert der zeitweilige V-Mann den Dienst, muss er mit einer schnellen Abschiebung rechnen. Mit einem derartigen Fall befasst sich zurzeit der Eingabenausschuss der Bürgerschaft.
„Ich habe in den Anhörungen immer ehrlich gesagt, dass ich nur hier bin, um zu studieren“, sagt Yassir Miloudi – „und nicht politisch verfolgt werde.“ Der 24-jährige Marokkaner hatte zunächst einen ganz legalen Status: ein Visum für ein Studienkolleg in Köthen in Sachsen-Anhalt. Weil ihm das Studium dann doch nicht lag, wollte er einen anderen Studiengang antreten. Unwissend, dass sein Visum örtlich beschränkt war, zog er 2007 nach Hamburg. Seine Bewerbung für den Studienplatz wurde unter Berufung auf das Köthen-Visum abgelehnt – und dieses wiederum nicht verlängert. Seit Ende 2007 lebt Miloudi nun illegal an der Elbe.
Und dann passiert es: Am 15. Dezember 2007 wird er beim Schwarzfahren erwischt. Die Polizei steckt ihn wegen des fehlenden Aufenthaltsstatus ins Untersuchungsgefängnis. Tags darauf wird er von der Ausländerbehörde untergebracht und, noch einen Tag später, vom Sachbearbeiter vernommen. Dieser rät ihm zum Antrag auf Asyl: „Der Beamte hat mit mir den Antrag geschrieben“, berichtet Miloudi der taz. „Dann sagte er mir, dass noch ein Kollege kommen werde, um mit mir zu sprechen.“ Dieser Beamte, der sich „Nils“ nennt, gibt sich als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (VS) zu erkennen. „Im Warteraum hat er mir erzählt, dass es verschiedene Szenen in Hamburg gibt und mich gefragt, ob ich die Rote Flora oder das ‚Café Knallhart‘ kenne.“ Dann habe Nils das Angebot unterbreitet, für den VS zu arbeiten – er solle in der linken Szene aktiv werden, diese sei freundlich zu Ausländern, weshalb man schnell Kontakt knüpfen könne. Für jeden Auftrag würde Miloudi 100 Euro bekommen. Und: „Er hat mir versprochen, dass er sich darum kümmern wird, dass mein Asylverfahren positiv ausgeht und ich einen legalen Status für das Studium bekomme“, sagt Miloudi.
Der 24-Jährige bittet um Bedenkzeit. Wenige Tage später, als er sich gerade auf dem Weg zur Anhörung wegen des Asylverfahrens befindet, bekommt er einen Anruf vom VS: „Man sagte mir, dass ich da nicht hingehen muss, dass meine Anhörung nicht jetzt stattfindet.“ Am selben Tag habe ihn Nils zu einem Treff bestellt. „Er hat mir den ersten Auftrag erteilt und 100 Euro gegeben“, sagt Miloudi. Er sollte zu einer Party in die Rote Flora gehen. „Danach wollte er wissen, was ich mit den Leuten aus der Antifa-Szene gesprochen habe.“ Es folgen weitere detaillierte Aufträge, die Quittung habe er mit dem Decknamen „Kai“ unterschreiben müssen.
Im Juni 2008 bricht Miloudi den Kontakt ab. „Ich habe Angst bekommen, ich hatte das Gefühl, selbst beobachtet zu werden.“ Nils habe ihn noch aufgefordert, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen, was Miloudi gemacht habe – diesmal mit richtigem Namen. Im November 2008 dann – fast ein Jahr nach der Festnahme – lädt man Miloudi zur Anhörung: Sein Asylantrag wird abgelehnt, er zur Ausreise aufgefordert.
Am kommenden Montag nun muss Miloudi in der Ausländerbehörde sein Flugticket vorlegen. Eine Härtefallregelung hat vorige Woche vom Petitionsausschuss der Bürgerschaft verworfen. Jedoch gewährte man dem Marokkaner mündlich eine dreimonatige Ausreisefrist.
Hamburgs Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck wollte sich zum Fall gestern „nicht äußern“. Miloudis Anwältin Sigrid Töpfer hat derweil einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis bis zum 1. Juli gestellt: Bis dahin entscheidet sich, ob er einen Studienplatz erhält. „Sie haben seine Notlage infam ausgenutzt“, sagt die Rechtsanwältin. „Dass Innenpolitiker und Verwaltungsverantwortliche einen Asylmissbrauch begehen, ist ein Skandal.“ Ihr Mandant sei „zu einem missbräuchlichen Asylantrag getrieben worden“, so Töpfer.
Die Linkspartei fordert zur Aufklärung des Falls nun eine Sondersitzung des Innenausschusses. „Unerträglich“ nennt ihre Innenexpertin Christiane Schneider „die offensichtliche Zusammenarbeit von Ausländerbehörde und Verfassungsschutz, bei der jungen Menschen für ihre Spitzeltätigkeit ein sicherer Aufenthaltsstatus versprochen wird“. Dass „die Anhörung im Asylverfahren um ein Jahr verschoben wurde, um V-Leute in die linke Szene einzuschleusen zeigt, mit welchen Methoden der Verfassungsschutz arbeitet“, so Schneider.
Von einem Verstoß gegen „die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates“ spricht gar der Staatsrechtler und Bundestagsabgeordnete Norman Paech: Die Behörde dränge „Studierende in ein offensichtlich unbegründetes Asylverfahren, damit der Verfassungsschutz sein schmutziges Geschäft betreiben kann“.