vom sinn des lesens :
Die Gerüchte brodelten; inzwischen ist es heraus: Drei Standorte der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen sollen geschlossen, andere zusammengelegt werden, so will es die Expertenkommission. Doch der Stiftungsrat entscheidet erst am Donnerstag. Noch ist also Zeit für Plädoyers. Ein Einwurf von Wulf Köpke, dem Leiter des Museums für Völkerkunde.
„Was mich persönlich betrifft, möchte ich zunächst betonen, dass ich ein ausgesprochener Vielleser bin. Ich halte das Lesen für eine der wichtigsten Erfindungen überhaupt, die letztlich auch frei macht. Denn es gibt natürlich etliche Kulturen, die sich ausschließlich auf mündliche Überlieferung berufen. Aber diese – übrigens wunderbaren – Kulturen bleiben immer ein wenig an die Tradition gebunden.
Wer aber liest, kann sich leichter in der Welt umschauen, von vielem Neuen profitieren. Ich kann das gerade bei meiner achtjährigen Tochter beobachten, die sozusagen live zur Leseratte mutiert. Ihr Lesebedarf wäre ohne Bücherei kaum zu befriedigen. Und wenn es auch etwas abgegriffen klingt, erringen Kinder lesend natürlich eine wichtige soziale Kompetenz. Bücher müssen gerade für Kinder und ältere Menschen leicht zugänglich sein, weswegen Stadtteilbüchereien besonders wichtig sind.
Was nun die Diskussion über Finanzierung und Frequentierung von Büchereien in sozial benachteiligten Stadtteilen betrifft, ist es schwer, alles über einen Kamm zu scheren. Denn natürlich müssen betriebswirtschaftliche Aspekte in Betracht gezogen werden; insofern habe ich Verständnis für den Finanzsenator. Nicht jede Schließung einer HÖB sollte gleich als Drama angesehen werden. Andererseits muss da – wie bei einem Museum auch – immer die Überlegung sein: Interessiert das, was wir anbieten, die Leute wirklich nicht? Oder erreichen wir sie bloß nicht? Ist Letzteres der Fall, muss man über die Form des Angebots nachdenken, muss – im Fall der Bücherhallen – überlegen, wie man den Standort stärken kann.
Eine weitere Überlegung ist rein politischer Natur: Bücherhallen sind wichtige Kulturzentren. Wieweit schadet es einem Stadtteil, wenn er dies verliert? Ich sehe derzeit für eine Reihe von sozial benachteiligten Stadtteilen die Gefahr der kulturellen Ausdünnung, wenn HÖB und Schulen geschlossen würden. Hier muss die Politik betriebswirtschaftliche und sozialpolitische Erfordernisse stärker gegeneinander abwägen, als das z. Zt. meines Erachtens passiert.
Die Zukunft der HÖB ist aber nicht nur eine Angelegenheit der Politik, wir sind alle gefordert: In puncto Solidarität sollte sich auch jede Kulturinstitution an die eigene Nase fassen: Es genügt nicht zu sagen: Ihr kämpft tapfer, wir sind für euch. Warum zum Beispiel sollte man nicht ein institutionenübergreifednes Bündnis für HÖB anregen – immer auch unter dem Aspekt, dass Leseförderung sowie die daraus erwachsende Bildungskompetenz letztlich auch für Theater, Museen, für die gesamte Kulturlandschaft wichtig sind? Warum nicht – unter Einbeziehung der Kultursenatorin – einen HÖB-Aktionstag aller Kulturinstituionen und der Presse veranstalten, um auf die Bedeutung dieser Institution hinzuweisen? Die HÖB leistet Basisarbeit für uns alle, das sollten wir stärker würdigen. Die Szene ist – und da nehme ich mich derzeit nicht aus – eben stark mit sich selbst befasst. Wir sollten das gemeinsam ändern.“
Protokoll: Petra Schellen