: Boy trifft Girl vor Gummibaum
Staunen, Verwirrung,Teenager: „Ich liebe Dich 0:58“ am Hamburger Schauspielhaus
„Noch fünfzehn Minuten bis zum Auftritt. Die Schauspieler bitte ins Malersaalfoyer“, dröhnt es aus dem Lautsprecher. Transparenz der Regie von Anfang an. Durchsichtigkeit von Zeit und Ort. Das ist Konzept bei „Ich liebe Dich 0:58“ von Annkathrin Wett. Die erst 19 Jahre junge Autorin ist Mitglied in David Spencers Schreibwerkstatt „Nachwuchs.Texte“ am Hamburger Schauspielhaus. Ihr in kürzester Zeit verfasstes Debüt wurde am vergangenen Sonntag in der Inszenierung der 21-jährigen Maria Magdalena Ludewig im Malersaal des Schauspielhauses uraufgeführt.
Die Mechanismen der Liebe mit neunzehn Jahren zu beschreiben, das heißt vor allem immer noch Staunen, Verwirrung, Unverständnis über das Irrationale, was geschieht. Eine riesige Plakatwand, gestaltet von Ausstatter Urs Amadeus Ulbrich, bildet den Hintergrund. Die Regieanweisung im Skript: „Ein Dreieck im Affenkäfig mit oller Palme.“ Es könnte auch die Werbung eines bekannten italienischen Strickwarenherstellers sein. Davor steht ein schlaffer Gummibaum.
Christoph Rinke ist „Er“. Ein blondgefärbter Schlacks, der weder genau weiss, wohin mit seinen langen Armen noch mit seinen Gefühlen. Er trifft auf „Sie“, Eva-Maria Meyer, ein erstaunlich altkluges Mädchen mit Durchblick in Liebesdingen und einem Strauß Karotten unter dem Arm. Die legt sie ihm in den Kühlschrank und nistet sich gleich in seinem Herzen ein.
„Lange Zeit sah ich sie nicht. Ich ignorierte sie bewusst. Ich schämte mich ihrer Kindlichkeit, ihrer Einfachheit und ihrer naiven Weltsicht. Vor allem aber wusste sie zu viel über mich“, bekennt „Er“ ein wenig hilflos. „Ich begann sogar sie zu hassen. Ich tat ihr absichtlich weh. Ich wollte, dass sie aus meinem Leben verschwindet. Sie war mir lästig. Ihr stilles Leiden ging mir auf die Nerven.“
Annkathrin Wett beschreibt die Annäherung der beiden Jugendlichen schnörkellos und klar. Zwischendurch weiß sie auch mal nicht weiter. Dann stehen die beiden Darsteller einfach da und blicken das Publikum stumm herausfordernd an. Oder sie sprechen es offen an. Oder sie legen zu der – eher nervigen – Regieanweisung „Die Notfallnummer bitte“ eine minutenlange Tanzeinlage zu den Klängen von 2raumwohnung hin.
Die Liebe der beiden bleibt unsicher. Das Glück zum Greifen nah und doch ein Rätsel. Heimlich schleichen sich Machtspiele heran. Emotionale Erpressung. Die Lethargie setzt ein – und das Schweigen, das am Ende tödlich für jede Beziehung ist. Die Liebe zieht weiter. „Noch 30 Minuten“, tönt es aus dem Lautsprecher. Die Ansage raubt Spannung. Das Ende scheint vorprogrammiert, noch bevor sich hier so richtig etwas entfalten kann.
Sie nimmt ihre Möhren und geht. Er tröstet sich mit Wodka und findet „Leiden ist geil“. Es gibt berührende Momente von berückender Einfachheit. Dann wieder solche von erschreckender Banalität. Aber so ist sie eben, die Liebe. Warum diese hier exakt 0:58 Minuten dauert, bleibt im Dunkeln. Caroline Mansfeld
Ich liebe Dich 0:58, nächste Vorstellungen 8., 13. Januar 2004, 19 Uhr, Malersaal im Schauspielhaus, Hamburg