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Archiv-Artikel

Die Mythen der Lobbyisten

Liberalisierung schafft auf den Weltagrarmärkten mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd. Viele Argumente der Globalisierungskritiker halten einer Überprüfung nicht stand

Dieses Mehr an Gerechtigkeit wird nur auf Kosten der Bauern in der EU zu haben sein

In der Debatte vor und nach Cancún liegen die Positionen von Globalisierungsgegnern und der europäischen Bauernlobbys nicht weit auseinander: Freier Handel von Agrarprodukten führe zu mehr Armut, beeinträchtige der Sicherung der Ernährung und komme letztlich nur den Großgrundbesitzern in der Dritten Welt zugute. Deshalb sei die von den selbstbewusster auftretenden Entwicklungsländern geforderte Liberalisierung der Weltagrarmärkte abzulehnen. In dieser Logik ist die von der EU praktizierte Abschottung des eigenen Agrarmarktes letztlich eine Politik im Dienste der Armen der Welt. Tatsächlich handelt es sich bei vielen der von den Globalisierungskritikern angeführten Argumente um Mythen, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten.

Zum Beispiel wird der Anbau vieler Grundnahrungsmittel wie Sorghum, Cassava, Yams, Gemüsebananen, aber auch von Mais in Afrika von der Entwicklung der Weltagrarmärkte nur wenig tangiert. Wenn die traditionellen Getreidearten an Boden verlieren, dann ist dies kultureller Verwestlichung geschuldet. Das Weißbrot und damit der Import von Weizenmehl befinden sich auf dem Vormarsch. Anders ist es bei Reis und Rindfleisch. Gegen den hoch subventionierten thailändischen Reis kommen die afrikanischen Bauern ohne Zollschutz nur in küstenfernen Standorten an.

Bei den Rindfleischexporten nach Afrika hat die EU glücklicherweise ihre Politik der Exportsubventionen weitgehend eingestellt. Davon profitieren hunderttausende von afrikanischen Viehzüchtern. Unter dem Gesichtspunkt der Nahrungsmittelsicherheit gibt es in Afrika nur beim Palmöl Argumente, die gegen eine weitgehende Importliberalisierung sprechen. Die Produktivität des afrikanischen Anbaus von Ölpalmen ist wesentlich niedriger als diejenige in Asien oder auch in Lateinamerika. Bei einer völligen Abschaffung der Zollschranken würde Afrika in Niedrigphasen der Weltmarktpreise die Anpflanzung dieser Dauerkultur aufgeben. Wenn die Preise dann wieder hoch sind, wären viele Länder bei diesem wichtigen Grundnahrungsmittel ausschließlich auf Importe angewiesen. Dies macht keinen Sinn.

Was die so genannten Cash Crops (für den Export produzierte Landwirtschaftsprodukte) angeht, so würden von einer Liberalisierung der Weltagrarmärkte in Afrika im Wesentlichen Millionen von Baumwollbauern im Sahel profitieren. Dabei handelt es sich ausschließlich um Kleinbauern. Der Abbau der Exportsubventionen in den USA und der EU hätte einen Anstieg der Weltmarktpreise zur Folge und wäre die denkbar unbürokratischste Form der Armutsbekämpfung. Gleichzeitig würden der europäische und amerikanische Steuerzahler erheblich entlast, eine „Win-Win-Situation“, wie man sie selten findet.

Komplizierter ist es beim Zucker. Eine Reihe der afrikanischen Länder haben die Möglichkeit, zu den hohen EU-Binnenmarktpreisen nach Europa zu exportieren. Wenn die Präferenzen im Rahmen einer Liberalisierung des Weltmarktes für Zucker abgeschafft würden, würden diese Länder Einkommen und Marktanteile an Brasilien verlieren. Die Leidtragenden wären allerdings kaum Kleinbauern. Zucker wird auch in Afrika überwiegend von multinationalen europäischen Unternehmen angebaut.

Eine Liberalisierung der Weltagrarmärkte mit einer Abschaffung aller europäischen, amerikanischen und asiatischen Landwirtschaftssubventionen hätte für die afrikanischen Bauern überwiegend große Vorteile. Da, wo Schutzzölle gefordert werden, geht es fast immer darum, sich gegen subventionierte Import-Konkurrenz zu wehren.

Glaubt man der Lobby der deutschen Zuckerbauern, dann würde eine Liberalisierung des Weltmarktes für Zucker nur brasilianischen Zuckerbaronen zugute kommen, die rücksichtslos den Regenwald abholzen und den letzten Cent Profit aus ihren zu Hungerlöhnen bezahlten Arbeitern herauspressen. Tatsächlich hat dieses Zerrbild in großen Teilen Brasiliens wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Im Bundesstaat São Paulo produzieren modern geführte landwirtschaftliche Großbetriebe für den Weltmarkt. Die Ernte erfolgt maschinell durch gut ausgebildete und gut bezahlte Fachkräfte. Alle Anbaugebiete für Zuckerrohr sind vom Regenwald hunderte, wenn nicht tausende von Kilometern entfernt. Wenn Brasilien im Rahmen einer Liberalisierung des Welt-Zuckermarktes die Möglichkeit erhielte, mehr Zucker zu exportieren, hätte dies wahrscheinlich die Folge, dass die Regierung deutlich weniger Subventionen für die Verarbeitung von Zucker zum Benzinersatz Ethanol zahlen müsste – Mittel, unter anderem für die Armutsbekämpfung, würden gewonnen.

Ein weiterer Mythos der Globalisierungskritiker geht davon aus, dass Cash Crops in der Dritten Welt Grundnahrungsmittel verdrängen. Vielfach wird umgekehrt ein Schuh daraus. Die Produktion von Cash Crops kann den Anbau von Nahrungsmitteln fördern. Das gilt etwa für die afrikanische Baumwolle. Diese wird in Rotation angebaut. Da die Bauern im Rahmen des Baumwollanbaus mit modernen Produktionsmethoden vertraut gemacht und mit Düngemitteln, Ochsen und Pflügen versorgt werden, erhöht sich auch ihre Produktion von Nahrungsmitteln für den lokalen Markt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen geht es bei der Frage Cash Crops versus Grundnahrungsmittel nicht um eine Konkurrenz um knappe Böden. Die Kernprobleme sind vielmehr die landwirtschaftliche Produktivität sowie die Eingrenzung von Ernte-, Lagerungs- und Vermarktungsverlusten. Die Produktivität wird in der Regel durch die Einführung von Cash Crops gesteigert, eine Erfahrung, die den Bauern auch anderweitig zugute kommt.

Verliert traditionelles Getreide an Boden, ist dies kulturellerVerwestlichung geschuldet

Im Übrigen legt beispielsweise der Verband der kolumbianischen Kaffeebauern seit vielen Jahren großen Wert darauf, bei den ihm angeschlossenen Kaffeebauern die Diversifikation zu fördern. Eine gute Kombination des Anbaus von Kaffee mit dem Anbau anderer Produkte für den lokalen Markt hilft den Bauern, in Phasen hoher Weltmarktpreise für Kaffee von diesen zu profitieren und in Phasen niedriger Weltmarktpreise dennoch wirtschaftlich abgesichert zu sein. Eine kluge Politik, die zu fördern aus Sicht der betroffenen Bauern wesentlich mehr Sinn macht, als über den „ungerechten“ Weltmarkt zu lamentieren.

Liberalisierung ist sicher kein Allheilmittel der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Im Falle der Weltagrarmärkte ist sie aber der wesentliche Hebel zur Schaffung von mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd und zur Bekämpfung von Armut. Und dieses Mehr an Gerechtigkeit wird nur auf Kosten der Bauern in der EU zu haben sein. Das kann man bedauern oder auch mit guten Argumenten für Subventionen zum Erhalt von Kulturlandschaften bei uns eintreten. Aber die Bauernlobby sollte damit aufhören, ihren Besitzstand mit dem Argument zu verteidigen, dies im Interesse der Kleinbauern in der Dritten Welt zu tun. ROGER PELTZER