Kohle – die erneuerbare Energie

VON NICK REIMER

Die Schutzheilige der Bergleute kommt heute zu Ehren. Familien an der Ruhr und im Saarland werden am heutigen St.-Barbara-Tag Kirschzweige in die Vase stellen und in 21 Tagen, zu Weihnachten, sollen die Zweige blühen. Womöglich haben die Bergleute bald noch mehr Grund, ihrer Patronin zu danken. Denn mit einem Mal gibt es Ideen, die gerade noch totgesagte Steinkohle wieder zu beleben. Der Chef der Ruhrkohle AG, Werner Müller, erwägt eine neue Zeche. Man müsse das Thema „ohne die gegenwärtigen ideologischen Scheuklappen“ diskutieren.

In seiner Zeit als Wirtschaftsminister der rot-grünen Bundesregierung war Müller ein Subventionsabbauer. Aber, so lautet jetzt sein Argument, darum geht es nicht. Die Kohle werde wieder konkurrenzfähig, auch die heimische. „Die Preise sind explodiert. Deutschland besitzt eine Milliarde Tonnen gute Kokskohle. Da stellt sich die Frage nach neuen Kokskohlezechen und Kokereien, um wieder unabhängig vom immer knapperen Weltmarkt zu werden“, erklärte Müller in einem Interview. Die Förderung der deutschen Steinkohle, die in den letzten zwanzig Jahren 100 Milliarden Subventionseuro verschlungen hat, soll plötzlich wirtschaftlich sein?

Die Argumente für den ältesten aller technisch genutzten Energieträger klingen plausibel:

Die Vorteile der Kohle

Vorteil gegenüber Öl: Der Hunger der Weltwirtschaft wächst von Jahr zu Jahr, die Förderung wird teurer. Im Vergleich zum Vorjahr kostete der Barrel in diesem 75 Prozent mehr.

Vorteil gegenüber Erdgas: Erstens ist der Gaspreis an den des Öls gekoppelt. Zweitens werden die europäischen Erdgasvorkommen spätestens 2015 erschöpft sein, was zu höherem Transportaufwand führen wird.

Kostenfaktor China und Indien: Zwei Drittel der Menschheit erleben derzeit einen wahren Wirtschaftsboom, der nach Koks, also veredelter Steinkohle, für die Stahlproduktion und vor allem nach Energie schreit. Das hat den Preis für Steinkohle auf dem Weltmarkt fast verdoppelt.

Es geht hier um mehr als um eine neue deutsche Zeche. Es geht um die Energiezukunft der Bundesrepublik. Mit 28 Prozent hat die Atomenergie nach wie vor den größten Anteil an der deutschen Stromproduktion. Nach dem vereinbarten Atomausstieg müssen die in den nächsten 17 Jahren aber durch andere Kraftwerktechniken ersetzt werden. 26 Prozent des deutschen Stromes werden aus Braunkohle gewonnen, die Verstromung von Steinkohle schlägt mit 24 Prozent zu Buche. Weil aber anders als die ostdeutschen Braunkohle- die westdeutschen Steinkohlekraftwerke veraltet sind, müssen in den nächsten zwanzig Jahren ein Drittel aller Deutschen Stromfabriken neu gebaut werden. Stellt sich die Frage: Mit welcher Technik? Und auf welcher Rohstoffbasis?

Schon aus klimatechnischer Notwendigkeit favorisiert die Politik – neben dem Ausbau regenerativer Quellen – effiziente Gaskraftwerke. Kein Energieträger verursacht nämlich so viel Kohlendioxid wie Steinkohle. Zudem haben Steinkohlekraftwerke mit allenfalls 39 Prozent den schlechtesten Wirkungsgrad. Moderne Braunkohlekraftwerke bringen es auf 45 Prozent, Gaskraftwerke können es durch Kraft-Wärme-Kopplung gar bis auf 85 Prozent schaffen. „Wenn die Energiewirtschaft modern investiert, wird Steinkohle nur eine untergeordnete Rolle spielen“, sagt Michaele Hustedt, Energieexpertin der Bündnisgrünen.

Einer Studie der renommierten Unternehmensberatung Boston Consulting kommt zu ganz anderen Ergebnissen: Statt auf Gas- werden die deutschen Stromkonzerne verstärkt auf neue Kohlekraftwerke setzen. Tatsächlich planen Eon oder RWE bereits ganz konkret. So will Eon etwa im nordrhein-westfälischen Datteln 800 Millionen Euro in ein 800-Megawatt-Kraftwerk stecken. Die Investitionsentscheidung fällt in den nächsten Monaten.

Während Öl bei derzeitigem Verbrauch noch 43 bis 44 Jahre vorrätig ist und Gas noch 64 bis 65 Jahre, werden die bekannten Steinkohlereserven mindestens noch 200 Jahre lang reichen. Die wichtigsten Förderländer Australien, China, Indonesien und Südafrika planen einen signifikanten Ausbau ihrer Förderkapazität, heißt es in der Studie von Boston Consulting. Das wird langfristig zu einem Weltmarktpreis zwischen 40 und 55 Dollar führen. „Steinkohle könnte Gas bei den neuen Kraftwerken den Rang ablaufen“, sagt Mathias Krahl, Vizepräsident von Boston Consulting und einer der Autoren der Studie.

Im Jahresdurchschnitt kostete die Tonne Steinkohle 44 Euro – wenn sie importiert wird. In Deutschland geförderte Steinkohle kostet hingegen 180 Euro. Sorry, liebe Kumpel: Eine Renaissance der deutschen Steinkohle wird es nicht geben. Auch wenn der Ex-Wirtschaftsminister Müller euch Hoffnung macht, das ist purer Lobbyismus. Weil der Kohle-Weltmarktpreis in den nächsten zwanzig Jahren nicht wesentlich steigen wird, erübrigt sich jede Zechendebatte.

Das Klimaproblem

Erdgas dagegen wird 2010 rund 30 Prozent mehr kosten. Genau das macht Steinkohle für die hiesige Energiewirtschaft so attraktiv. Bereits heute nämlich ist Strom aus Gas teurer als Strom aus Kohle. Die Erzeugerkosten – Rohstoff- plus Betriebskosten – pro Kilowattstunde Strom aus Steinkohle liegen bei 3 Cent; bei Gas jedoch bei 3,5 Cent.

Bleibt das Klimaproblem: Die Politik hat erkannt, dass die bisherigen Anstrengungen zur Kohlendioxid-Reduzierung allenfalls ein Anfang sein können. „Wenn wir den Anteil des Atomstroms in den nächsten Jahren durch fossile Energieträger ersetzen müssen, wird Deutschland Emmissionsmenge um zehn Prozent steigen“, sagt, Hermann Josef Wagner, Professor für Energiewirtschaft an der Bochumer Ruhr-Universität. Zehn Prozent, die dann irgendwo anders eingespart werden müssen. Wagner: „Die Bundesregierung schweigt sich aber aus, wie sie gedenkt, dies zu bewerkstelligen.“

Das stimmt nicht ganz. Energieeinsparung ist eine Antwort, die Rot-Grün gern gibt. Die andere: Erdgas. „Ich sehe nicht, woher die Gasmengen kommen sollen, die wir dafür benötigen“, erklärt Wagner. Russland baue gerade eine Erdgasleitung nach China, teilen sei künftig angesagt. Folgerichtig müssten neue Steinkohlekraftwerke gebaut werden.

Rot-Grün hätte den Kostenvorteil der Steinkohle deutlich schmälern können – mit dem Zertifikatshandel, der im kommenden Jahr beginnt. Wer Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst, muss dafür zahlen – so genannte Verschmutzungs-Zertifikate kaufen. Wer seine Anlagen klimafreundlicher macht, kann solche Zertifikate verkaufen. Dummerweise hat die Bundesregierung die Chance versäumt: Würden die Zertifikate nämlich etwa 40 Euro je Tonne Kohlendioxid kosten, dann wäre Gas deutlich im Vorteil. Der jetzt avisierte Preis liegt aber zwischen 5 und 10 Euro. Und es gibt jede Menge Ausnahmeregeln.

Die Europäische Union macht jetzt Druck auf Deutschland: Ein Viertel aller Kohlendioxide, die von der EU in die Luft geblasen werden, kommen aus der Bundesrepublik. Die Kommission ist speziell mit den Kontrollmechanismen des Deutschen Handelssystems unzufrieden. Energieexperten aus den Umweltverbänden stellen fest, dass eine große Chance verpasst wurde, die deutsche Energieversorgung zukunftsfähig zu machen.

Immerhin versucht das die Wissenschaft. „Green Coal und Clean Coal – es gibt im wesentlichen zwei technologische Entwicklungsstränge“, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung (DIW).

Green Coal heißt: Kraftwerke mit sehr hohem Wirkungsgrad, Clean Coal bedeutet emmissionsfreie Kohleverstromung. „Kohlendioxid soll quasi im Schornstein rausgefiltert und dann unterirdisch gelagert werden“, erklärt Claudia Kemfert. Allerdings ist dieses Verfahren technisch längst noch nicht einsatzbereit – und enorm teuer. Die Kosten werden mit bis zu 280 Euro je Tonne prognostiziert.

„Der Forschungsstand für diese Techniken ist noch sehr, sehr mager“, urteilt Bertram Hentschel, Professor für Energieverfahrenstechnik an der Bergakademie Freiberg. Am verheißungsvollsten sei eine Vergasung der Kohle – das so genannte IGCC-Verfahren. Das Gas würde dann in Turbinen verbrannt, was erstens den Wirkungsgrad deutlich erhöht und zweitens die Möglichkeit eröffnet, Kohlendioxid zu extrahieren.

So gut die Sache klingt, so groß ist allerdings der Haken: Frühestens im Jahr 2020 ist die Technik einsatzbereit. „Deutschland hat zu lange zu wenig Fördergelder investiert“, urteilt die DIW-Expertin Kemfert. Das könnte sich rächen: 2020 sind viele Kohlekraftwerke neu gebaut. Mit alter Technik.