: Mit blauem Auge nach Peking
Getrieben von den Worten ihres obersten Geldgebers, dem Innenminister Otto Schily, raffen sich die Delegierten beim Bundestag des Deutschen Sportbundes (DSB) zu weitreichenden Reformen auf und beschließen das Förderkonzept 2012
VON MATTI LIESKE
Wer das Geld hat, hat auch das Sagen, lautet ein Grundsatz, dem unter kapitalistischen Verhältnissen nur schwer zu entrinnen ist. Den deutschen Sportverbänden allerdings gelang selbiges in der Vergangenheit immer ganz gut. Bereitwillig nahmen sie all die Förderungsmittel vom Staat, nicht ohne zu mäkeln, dass es ja viel zu wenig sei, und verwendeten die ganze Kohle nach Gutdünken. Meldete sich der gütige Geldgeber in Gestalt des für den Sport zuständigen Innenministers mal mit Kritik zu Wort, verbat man sich diese umgehend und pochte auf die Unabhängigkeit des Sports. Meist funktionierte das sehr gut, nur manchmal lief das Fass so sehr über, dass die unerwünschte Einmischung nicht gänzlich abgeschmettert werden konnte.
Meist passierte dies nach weniger gutem Abschneiden bei Olympischen Spielen. Schon nach Atlanta 1996 forderten Politiker vehement eine größer Effizienz der Sportförderung und der entsprechenden Institutionen, nach Sydney 2000 gab es ähnliche Stimmen, und die mancherorts als nationales Sportdebakel empfundenen Spiele von Athen in diesem Jahr gaben der Diskussion erneute Nahrung. Zum Wortführer dieser Bestrebungen schwang sich schon nach 1996 Manfred von Richthofen auf. Damals begann der Präsident des Deutschen Sport-Bundes (DSB) seinen teilweise einsamen Kampf gegen das Nationale Olympische Komitee (NOK) und Funktionäre der Spitzenverbände. Das Ziel war vor allem die Vereinigung der beiden Dachorganisationen, die vom NOK jedoch wegen des zu erwartenden Macht- und Bedeutungsverlustes heftig bekämpft wurde. Am Wochenende, beim DSB-Bundestag in Bremen, hat von Richthofen auch dank der energischen Unterstützung durch Innenminister Otto Schily, nun einen großen Teil seiner Vorstellungen durchsetzen können.
Der Schock der Olympischen Spiele von Athen, wo das von vornherein illusorische, vom NOK aber dennoch lautstark propagierte Ziel, China vom dritten Platz der Medaillenwertung zu verdrängen, krass verfehlt wurde, sitzt noch tief. Es müsse „gründlich aufgeräumt“ werden, verlangte Schily in Bremen und verwies darauf, dass aus seinem Ministerium dem Sport im kommenden Jahr 133 Millionen Euro zufließen werden. „Wir können nicht fördern“, drohte Schily, „wenn der Sport das Geld nicht effektiv anlegt.“ Außerdem mahnte er, die inzwischen auf den Weg gebrachte Fusion von DSB und NOK zügig voranzutreiben. Bei ersten Gesprächen waren beide Seiten noch meilenweit auseinander gewesen.
Zur Freude Manfred von Richthofens leitete der DSB-Bundestag nach Schilys Intervention die „bisher gravierendsten Einschnitte überhaupt“ in die Wege. Ohne Gegenstimme wurde das zuvor umstrittene, unter Federführung von DSB-Vize Ulrich Feldhoff entwickelte „Förderprogramm 2012“ angenommen, das eine Konzentration auf Eliten und den Nachwuchs vorsieht. Die Zahl der Bundesstützpunkte wird von 141 auf etwa 100 reduziert, dafür sollen 35 bis 40 Stützpunkte nur für die U-23-Talente geschaffen werden. Außerdem wird ein 100-köpfiges „Top-Team“ gebildet, dem die Endkampfteilnehmer von Athen sowie die Medaillengewinner bei Junioren-Weltmeisterschaften angehören. Diese sollen in Hinblick auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking besonders gefördert werden. „Wir müssen sehen, dass wir bei den Peking-Spielen mit einem blauen Auge davon kommen“, sagte Feldhoff. Ein beträchtlicher Teil der Reformen werde erst zu den Spielen 2012 wirksam werden. „Leider haben wir vor vier Jahren nach Sydney 2000 noch nicht den Mut gehabt für einen radikalen Schnitt.“
Manfred von Richthofen ließ es sich nicht nehmen, seinen Triumph auszukosten. Ausdrücklich unterstrich er das Recht Schilys, sich kritisch zu äußern, das sei kein Eingriff in die Autonomie des Sports, sondern das gute Recht „unserer Partner“. Dem NOK schrieb er ins Stammbuch, dass dem olympischen Sport zwar eine zentrale Rolle zukomme, man ihn jedoch „relativieren“ müsse. Die künftige Dachorganisation trage die Verantwortung für den Spitzensport ebenso wie für den Breiten- und Freizeitsport. Im Übrigen habe er eigentlich mit Gegenstimmen gerechnet.
Widerstand hätte sich vor allem an der neuen Einteilung des Sommer-Spitzensports in vier Leistungsklassen entzünden können. Die Spitzengruppe soll zehn Prozent mehr Geld bekommen, die beiden letzten Gruppen erhalten aber 20 bis 30 Prozent weniger. Eine erfolgsorientierte Form der Förderung, die an das alte DDR-System mit seiner Konzentration auf wenige Sportarten gemahnt. Verbände, die einmal nach unten durchrutschen, wie in jüngster Zeit die Leichtathletik, werden noch größere Schwierigkeiten haben, wieder nach oben zu kommen. Doch selbst der Leichtathletik-Verband ließ sich am Ende von der Finanzknute des Geldgebers Schily einschüchtern und verzichtete auf Widerspruch. Wie sagte Manfred von Richhofen in Bremen doch so schön: „Die Einheit unserer großen Sportfamilie darf auch unter neuen strukturellen Gegebenheiten an keiner Stelle in Frage stehen.“