: Geld ist ein wichtiger Punkt
Fluchtpunkt Miami: In Florida zielte die Messe Art Basel/Miami Beach auf jene 200 „Übercollectors“, die gemeinhin als der internationale Kunstmarkt gelten. Zugleich fragt Roger M. Bürgel, der nächste Documenta-Direktor: Wie wollen wir regiert werden? Heraus kam: Von Sammlern jedenfalls nicht
VON BRIGITTE WERNEBURG
Welche Kunst nur wollen wir kaufen? Diese Frage erübrigte letzte Woche während der Kunstmesse Art Basel/Miami Beach (ABMB) jede weitere Frage. Soll es der wunderbare David Hockney bei der Kölner Galerie Gmurzynska sein, die „The Room“ (1967) für drei Millionen Dollar anbietet? Oder die 44-teilige S/W-Fotoserie des 1992 verstorbenen David Wojnarowicz, „Arthur Rimbaud in New York“ (1978–79/2004), die für 125.000 Dollar bei der New Yorker Galerie P.P.O.W. zu haben ist? Die Arbeit, in der Wojnarowicz den Wiedergänger des Dichters Rimbaud in den Strichern und Junkies der Stadt fand, war eine der wenigen von den 190 ABMB-Galerien gezeigten Arbeiten, die auch in die Ausstellung gepasst hätte, die zeitgleich im Miami Art Central eröffnete. Die gemeinnützig geführte Kunsthalle, erst letztes Jahr von der venezolanischen Sammlerin Ella Cisneros gegründet, zeigt den dritten Teil der Ausstellungsfolge „Die Regierung“, die Roger M. Bürgel, Direktor der nächsten Documenta 2007, als Kurator in den Vereinigten Staaten vorstellt. Mit der Frage „Wie wollen wir regiert werden?“ darf sich die Stadt noch bis Anfang Februar auseinander setzen.
Nachdem sich Florida dieses Mal klar entschieden und George W. Bush mit großer Mehrheit gewählt hat, könnte es scheinen, das provokative Potenzial der Frage sei erschöpft. Doch die Dinge liegen komplizierter. Die Menschen wissen offenbar genauer, als man glaubt, wie sie regiert werden wollen, und dies bringt zumindest einen wichtigen Mann aus Miami auf die hier omnipräsente Palme. Denn gleichzeitig mit ihrer Stimmabgabe für Bush votierten die Wähler von Miami/Dade County für die Auflage eines gewaltigen Fonds von über einer halben Milliarde Dollar, der ausschließlich kulturellen Projekten zugute kommen soll. Allein 100 Millionen Dollar davon werden in den Neubau des Miami Art Museums in der Biscayne Bay fließen. Dagegen nun opponiert der Immobilientycoon Martin Z. Margulies, einer der 200 bis 300 großen Sammler weltweit, die jene kleine Gemeinde bilden, die als der internationale Kunstmarkt gilt, auf den die Art Basel/Miami Beach zielt.
Mit der gleichen entwaffnenden Offenheit, mit der Marty Margulies zugibt, als Bauherr wäre er nichts als ein Langweiler, profilierte er sich nicht nur darüber hinaus als „Übercollector“, wie es die Amerikaner gut nietzscheanisch und daher auch auf Deutsch zu sagen lieben; mit der gleichen Offenheit gibt er auch zu, dass er die Vorstellung Furcht erregend findet, ein Museum könnte mit öffentlichem statt privatem Geld finanziert werden. Seine tatsächlich bewundernswerte Sammlung alter und neuer Fotografie, Videoarbeiten, Installationen und Skulpturen hat er in einem riesigen Lagerhaus untergebracht, das im Fashion District liegt.
Würden hier nicht Busladungen von Messebesuchern ankommen, die seine Sammlung sehen wollen, wirkte das Gebiet an einem Freitagvormittag recht ausgestorben. Doch man muss sich nicht täuschen. Hinter den geschlossenen Garagentoren der Lagerhallen sitzen genau die illegalen Arbeiterinnen an den Nähmaschinen, wie sie der französische Künstler algerischer Abstammung Kader Attia gemietet hat, um in einem der Container, in denen die weißen Wände der Messestände aus der Schweiz nach Miami transportiert wurden, sein „Illegal Studio Hallal“ (2004) aufzubauen.
Die nun leeren Container bildeten den Strandausleger der ABMB, ihr kopierresistentes Alleinstellungsmerkmal, „Art Position“ genannt, eine preiswerte Plattform für Kunst, die als noch nicht durchgesetzt beziehungsweise cutting edge gilt. Doch beides stimmt nur bedingt. Kader Attia etwa ist weder unbekannt noch verstörte sein Sweat Shop bei der Pariser Galerie Kamel Mennouf die Besucher nachhaltig. Mehr Irritation provozierte in Miami die „Guantanamo Initiative“ von Christoph Büchel und Gianni Motti im Container von Maccarone, New York.
Da der Vertrag über die Guantanamo Bay von der kubanischen Regierung nicht anerkannt und die Mietzahlungen der Vereinigten Staaten von jährlich 4.085 Dollar von ihr nicht angenommen werden, haben die Künstler der Initiative Verhandlungen mit Kuba aufgenommen, um neue Mieter der Militärbasis zu werden. Als solche, so sagt das ausliegende Flugblatt, würden sie dann schon die nötigen Schritte gegen die illegale Besetzung des Gebiets durch die Vereinigten Staaten einleiten.
Ein solches Statement kommt in Miami nicht besonders gut an. Und doch muss man sagen, die Stadt scheint von Bushs war on terrorism nicht weiter beeindruckt. Was die Sicherheitsvorkehrungen betrifft, war jedenfalls nirgendwo Übereifer zu spüren. Um in die Messe hineinzukommen, reichte es, seine Tasche zu öffnen, damit das Wachpersonal den Inhalt in Augenschein nahm. Unter anderen Bedingungen wäre eine Dependance unter freiem Himmel wie die „Art Positions“ auch gar nicht denkbar. Neben dieser Sektion bot der Messeparcours selbst mit den Abteilungen „Art Nuova“ und „Art Statements“ preisgünstige Plätze für junge Galerien, die etwa bei der „Art Nuova“ Arbeiten ihrer Künstler zeigen konnten, die in den letzten zwei Jahren entstanden.
Frisch ausgepackt wirkte denn auch der VW-Käfer der Mexikanerin Margarita Cabrera bei Sara Meltzer, New York. Das weiche Auto aus Vinylstoff in Originalgröße, das gleichzeitig Nachfolger wie Antithese zu Claes Oldenburgs Soft Sculptures ist, wurde von Arbeiterinnen in den so genannten Maquiladoras angefertigt. Diese Fabriken multinationaler Unternehmen mit Hauptsitz in den USA können dank besonderer Übereinkünfte zwischen den Regierungen ihrer Länder besonders günstig in Mexiko produzieren und in die nahen USA distribuieren. Das Thema Ausbeutung ist also durchaus in der Messehalle angekommen.
Von der Muttermesse, der Art Basel, wurde in Miami die „Art Statements“-Sektion übernommen, die es – wiederum zu reduziertem Preis – Galerien ermöglicht, einen Künstler oder eine Künstlerin in einer Einzelpräsentation vorzustellen. Gerd Harry „Judy“ Lübke, ein durchaus großer Galerist aus Berlin, nahm dieses Angebot an und hatte die süßliche Hündchen- und pornografisch angehauchte Mädchenmalerei von Martin Eder, seinen derzeitigen Shooting Star, in den ersten 20 Minuten der Preview ausverkauft. Man kommt nicht umhin, Judy Lübke zu bewundern: Danach konnte er seine weiteren Geschäfte draußen abwickeln, an einem der vielen reizvollen Orte, die das sonnige Miami bietet. Ebenfalls aus Berlin zeigte Esther Schipper das Künstlerduo RothStauffenberg mit ihrem „Sarajewo Miami Remix“. Die Video-Installation montiert auf drei übereinander gestapelten Monitoren vorgefundenes Fernsehmaterial zur einer historisch-politischen Bildermeditation, einer intelligenten Medienkritik, die im Umfeld der verhaltenen Experimente jüngerer Künstler und dem hoch gehandelten, längst durchgesetzten Angebot der Blue-Chip-Galerien durchaus auffiel.
Die Zeichnung, die, wie bei den letzten Museums- und Kunsthallenausstellungen zu beobachten, deutlich im Kommen ist, spielte auf der Art Basel/Miami Beach keine Rolle. Grund ist ihr geringer Preis. Dafür darf sich die Malerei einmal mehr einer Renaissance erfreuen. Ausgerechnet das britische Branchenblatt The Art Newspaper titelte: Die Zukunft ist deutsch. Und das hatte nichts mit dem Sponsor, dem deutschen Autobauer BMW, zu tun, der es ermöglichte, dass The Art Newspaper mit neun Redakteuren angereist war, um eine tägliche, bewundernswert aktuelle Messeausgabe herauszugeben. Neo Rauch und die Leipziger Schule sind in den Vereinigten Staaten eben das aktuelle Sammlerthema.
Ob beim Coca-Cola-Repräsentanten für Südamerika, bei Pablo und Rosa de la Cruz oder bei Donald und Mera Rubell, überall stößt man auf Schnell, Eitel, Weischer und Ruckhäberle. In der Sammlung des größten Hoteliers von Miami, die ebenfalls ein ganzes Lagerhaus im Art District beansprucht, hat gar jeder der Genannten einen eigenen Raum. Gegenüber der Rubell Collection erklärt eines der vielen riesigen Werbeplakate, dass auch Miami als eines der in Amerika so beliebten Akronyme gelesen werden kann und dann Money Is A Major Issue heißt. Samuel Keller, der 38-jährige Direktor der Art Basel, wird Miami bestimmt so entziffern. Denn noch gilt es die so überaus erfolgreich gestartete kleine Schwester, die der Mutter an Renommee schon Konkurrenz macht, in die schwarzen Zahlen zu bugsieren.
Allein Kunst zu zeigen reicht dafür nicht. Partys und andere Events erst machen die Sache rund. Und hier kommen dann die Sponsoren ins Spiel. Die Art Basel Conversations mit prominenten Künstlern, Kuratoren und Sammlern bezahlte der Juwelier Bulgari. Mit seinem VIP-Autotross von 7er-Modellen stellte BMW seine Kunst gleich auf die Straße, auf der sich die BMW-Welt schon realisierte, bevor sie noch der eingeflogene Architekt Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au als ein Bauprojekt für München vorstellen konnte.
Der New Yorker Galerist Jeffrey Deitch kam für die große Strandparty auf, auf der am Eröffnungsabend die Disco-Travestie-Show der Scissor Sisters alle glücklich machte. Nicht restlos glücklich stimmte dagegen die ambitionierte Puppen-Rock-Oper „Don’t Trust Anyone Over Thirty“. Die von Dan Graham nach dem 68er-Film „Wild in the Streets“ erarbeitete Geschichte des 24-jährigen Rocksängers Neil Sky, der sich von einem skrupellosen Politiker für das Wahlrecht ab 14 einspannen lässt, braucht noch einige Verbesserungen, wie Richard Flood, Chefkurator des Walker Art Center in Minneapolis, am nächsten Tag meinte. Auch das Walker Art Center, Gastgeberin Francesca von Habsburg und die Wiener Festwochen haben als Produzenten des Stücks keine Kosten gescheut. Prominenz zuhauf ist beteiligt: Von Tony Oursler und Paul McCarthy stammen die Videoprojektionen, der Künstler Rodney Graham steuerte ebenso wie Kim Gordon und Thursten Moore von Sonic Youth die Songs bei, während die Band Japanther live auftritt und die Puppen von Philip Huber stammen, der in „Being John Malkovitch“ die Figuren von Abélard und Héloïse baute.
Es half wenig, das Stück trat dann eine Stunde lang auf der Stelle. Vielleicht weil die arg dünne Story sehr direkt auf das arg moralische Ende zusteuert, dass wir von 10-Jährigen dann doch nicht regiert werden wollen.
Sammler kommen dafür ebenso wenig in Frage. Denn mit dem Begriff der Öffentlichkeit scheinen sie ein ernsthaftes Problem zu haben. Mehr und mehr erkennt man auf ihrer Seite eine grundsätzliche Kampfansage an die öffentlich bestallten Kuratoren und Museumsfachleute. Ob Sammler in Europa staatliche Gelder auf ihre Projekte umleiten möchten, was in Amerika undenkbar ist, oder ob sie hier von vornherein jede öffentliche Finanzierung ablehnen – Marty Margulies etwa betont in seiner Stellungnahme gegen das Miami Art Museum, dass Museen in den Vereinigten Staaten doch stets privat finanziert seien: Sie wollen mit ihren Sammlungen – konkurrenzlos zu öffentlichen Sammlungen – das endgültige Bild der Kunst im 20. und 21. Jahrhundert bestimmen.
Wie also wollen wir regiert werden? Auch Roger M. Bürgels Ausstellung, die er gemeinsam mit der Kuratorin und Kritikerin Ruth Noack erarbeitete, gibt darauf keine Antwort. Sie sucht mit den Mitteln der Kunst die prekäre Balance von Selbst- und Fremdbestimmung, die Michel Foucault unter dem Begriff der Gouvernementalität analysierte, noch einmal in den Zeiten der neoliberalen Globalisierung zu ermitteln. Sehr treffsicher sind die vorgestellten Positionen aber nicht ausgewählt.
Neben aktuellen Arbeiten von Alice Creischer und Andreas Siekman, deren Kostümfundus vom Arbeitskampf beim argentinischen Textilunternehmen Brukman handelt, Dierk Schmidts Sabine-Christiansen-Gemälde oder Sanja Ivekovic’ Video „Personal Cuts“ stammen die interessantesten Werke, etwa von Martha Rosler, Öyvind Fahlström und dem argentinischen Kollektiv Tucumán Arde, aus den hoch politisierten 60er- und 70er-Jahren. Doch von den 68ern werden wir ja schon regiert.