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Archiv-Artikel

Vom Sport sitzen gelassen

Viele erfolgreiche Athletinnen und Athleten fallen nach dem Ende ihrer Karriere in ein berufliches Loch, weil sie sich nicht rechtzeitig um eine Perspektive für die Zeit danach gekümmert haben

VON JOACHIM MÖLTER

Erfolgreicher Sportler, Mitte dreißig, Medaillengewinner bei Weltmeisterschaften, sucht Festanstellung; Angebote an … „Ach, Angebote gibt’s ja doch keine“, sagt Frank Dittrich (35), Eisschnellläufer aus Chemnitz. Im Sommer wollte er seine sportliche Karriere beenden; weil er keinen geeigneten Arbeitsplatz fand, setzt er sie fort. Bei der Einzelstrecken-WM im März in Seoul möchte er noch einmal eine Medaille über 10.000 Meter gewinnen, dann soll wirklich Schluss sein, aber Frank Dittrich sagt: „Wenn ich mit dem Sport aufhöre, muss es beruflich weitergehen.“

Es könnte sein, dass Dittrich noch ein paar Warteschleifen auf dem Eis dreht, denn selbst Spitzenathleten gleiten heutzutage nicht mehr so leicht vom Sport in einen Beruf. Nur wenige verdienen so viel Geld, dass sie sich kaum noch sorgen müssen – Eisschnellläuferin Anni Friesinger, Skispringer Martin Schmitt, die alpine Skirennläuferin Martina Ertl. Der Rest muss irgendwann arbeiten, auch der gelernte Bankkaufmann Dittrich. Er hat eine Halbtagsstelle, von der er freigestellt ist, um seinen Sport zu treiben. „Es war mal geplant, das auf Vollzeit aufzustocken“, erzählt er, „aber das konnte mir niemand mehr zusichern. Die Zeiten haben sich geändert.“

Das Problem verschärft sich eher, sagt Axel Kuhlen, Laufbahnberater am Olympiastützpunkt Bayern in München, wo die meisten Wintersportler betreut werden. Kuhlen vermittelt Ausbildungs- und Arbeitsplätze, momentan tut er sich schwer, wenn er bei Firmen vorspricht. „Da hilft auch eine Medaille nichts mehr“, sagt er, „es geht darum, auf der Höhe des Berufs zu sein.“ Das sind die meisten Leistungssportler nicht.

Die meisten sind ja untergebracht in Sportfördergruppen von Bundeswehr oder Bundesgrenzschutz, wo sie sich auf ihren Sport konzentrieren können. Im Grunde eine gute Sache, nur hat sie auch Nachteile: Die Athleten fühlen sich abgesichert, sagt Kuhlen, „da besteht die Gefahr, dass sie die beruflichen Realitäten aus den Augen verlieren. Sie leben in ihrer Sportwelt, wo sie hofiert werden. Dann werden sie dreißig und stellen fest: Kein Hahn kräht nach mir.“ Die meisten Athleten sind ja nur Zeitsoldaten, als Berufssoldat werden höchstens Topleute übernommen wie Bob-Olympiasieger und -Weltmeister Christoph Langen (41). Der weiß das zu schätzen: „Das ist das Beste, was einem passieren kann als Sportler. Ohne diese Absicherung hätte ich schon längst aufgehört und mich um einen Job gekümmert“.

Im Lauf seiner Karriere hat Langen viele Sportler gesehen, die das nicht tun: „Die hören mit 28, 29, 30 auf und haben nichts, null. Die stehen auf der Straße.“ Die alpine Skirennläuferin Sibylle Brauner aus Raubling (Oberbayern) sagt, sie war 27, als ihr klar wurde: „Ich habe mich nie um etwas kümmern müssen als Sportlerin, ich war total unselbstständig.“ Vor diesem Winter hörte die 28-Jährige auf, aus gesundheitlichen Gründen; aber noch während ihrer aktiven Zeit begann sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, die der Olympiastützpunkt vermittelt hat. Ab nächstem Herbst hängt sie eine zur Physiotherapeutin dran. Das sieht Axel Kuhlen gern: „Die Sportler müssen Fortbildungen machen, Praktika, alles, was sie zeitlich schaffen. Es kann mir keiner erzählen, dass er den ganzen Tag trainiert.“

Sibylle Brauner glaubt, dass viele „ein Problem damit haben, sich mit der Frage auseinander zu setzen: Was mache ich, wenn die Karriere vorbei ist?“ Wer sich unter den Dreißigjährigen des deutschen Wintersports umhört, bekommt diesen Eindruck bestätigt. Da spricht keiner gern über sein Karriereende, geschweige denn darüber, was er danach anfangen will mit sich und seinem Können. Dafür gibt es viele, sagt Kuhlens Kollege Klaus Sarsky, „die sich keine Gedanken machen, unsere Angebote ignorieren und dann jammern: Der Sport lässt mich sitzen. Ich habe zehn Jahre investiert, nun tut er nichts für mich.“

Zu denen gehört Frank Dittrich nicht, er sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt realistisch. Auch im Bankgewerbe werden ja eher Leute entlassen als eingestellt, „und wenn vierzig gehen müssen, kann es nicht sein, dass einer kommt“. Von einer Halbtagsstelle könne er eine Weile leben, sagt er, eine Dauerlösung sei das nicht. Dittrich ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein Reihenhäuschen ist abzubezahlen. Seine Medaillen nützen ihm dabei nur wenig. Die haben ihn bekannt gemacht in und um Chemnitz. „Aber wenn’s keine Jobs gibt, kann man mich noch so gut kennen – es hilft nichts.“