Am Stammtisch der Patenten

Haben Sie Probleme? Reichen Sie sie weiter! Die „Freie Erfinder- und Ideengemeinschaft Hannover“ würde sich darüber freuen – und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Lösung finden: Mehr als 300 Erfindungen gehen auf ihr Konto

Gerke hat sogar eine garantiert knitterfreie Krawatte entwickelt: Sie besteht aus Holz

Aus HannoverMartin Rücker

Innovation braucht das Land, fordern unsere Politiker. Direkt vor des Kanzlers Haustür, im Maritim-Hotel am hannoverschen Rathaus gibt es sie. Einmal im Monat findet sich hier die Freie Erfinder- und Ideengemeinschaft Hannover zum Stammtisch ein.

Die kreativen Köpfe, die sich dort treffen, wollen nur eins: die Probleme anderer Leute. „Die Lösung finden wir schon. Man braucht nur ein gutes Problem“, sagt einer. Er ist Mitte 60, stellt sich nur als „Wissenschaftler“ vor. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht, mit Namen möchte er deshalb nicht genannt werden, nicht im Zusammenhang mit dem Wort „Erfinder“. Das werde zu oft ins Lächerliche gezogen. Zu Unrecht. „Ein Herr Düsentrieb hat sich bei mir noch nicht vorgestellt“, sagt er.

Im Norden scheint es, als hapere die Problemsuche ein wenig. Eigentlich ist Deutschland ein kreatives Land. „Bei den Patentanmeldungen pro Kopf rangieren wir weltweit hinter den USA und Japan an dritter Stelle“, sagt Diane Nickl, Sprecherin des Deutschen Patent- und Markenamtes. Und moralisch ist das Land der Dichter und der Denker noch weiter vorn: Die USA seien viel großzügiger bei der Erteilung von Patenten, ebenso wie Japan. Die norddeutschen Bundesländer drücken allerdings die Statistik in Sachen Erfindungsgeist: An der Spitze liegt Baden-Württemberg mit 130 Patentanmeldungen pro 100.000 Einwohner und Jahr, dicht gefolgt von Bayern mit 115. Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern liegen hingegen alle weit unter dem Durchschnitt von 64 Anmeldungen.

„Fräulein, kann ich noch ein Bier haben?“ Henry Gerke, Ex-Unternehmer und nun „Privatier“, kann sich diese Diskrepanz nicht erklären. „Die Süddeutschen sind schon seit Jahrhunderten Vorreiter“, sagt der Leiter der Erfindergemeinschaft. An dem Hagenburger liegt es nicht: Gerke hat sogar die „Kra-Latte“ entwickelt. Das ist eine garantiert knitterfreie Krawatte aus Holz. Oder aus Laminat.

1.500 Erfinder gebe es allein in der niedersächsischen Landeshauptstadt, weiß der 61-Jährige. Zum Stammtisch kommen nur zwischen drei und acht. Wohl aus Frust, weil das mit dem Erfolg so eine Sache ist: Was auch immer die Gruppe erfand, niemand wollte es auf den Markt bringen. Beispielsweise Gerkes Fräskopfschraube. Durch kleine, schräge Kerben am Kopf versenkt sie sich beim Drehen selbst im Holz, ohne es aufzusplittern. „Die Hersteller haben mir gesagt: Wir produzieren 2.000 unterschiedliche Schrauben. Jetzt kommen Sie mit einer neuen? Hören Sie auf.“ Ein Sechser im Lotto sei wahrscheinlicher als eine Erfindung zu verkaufen.

Der Elektrotechniker Norbert Moch ergänzt: „Die Firmen sagen nicht mal, was sie stört, die wimmeln einfach ab.“ Erfinder zu sein sei deshalb auch „die Kunst, Optimist zu bleiben“. Trotz aller Geldnöte. Denn es ist ein teures Hobby: Allein ein Patent aufrechtzuerhalten kostet rund 50 Euro im Jahr. Die Stammtisch-Tüftler wollen deshalb eine Stiftung gründen, die das übernimmt – und sich ausschließlich aus dem Verkauf eigener Produkte finanziert.

„Wir wollen aber keinen Sponsor“, sagt Gerke. „Was wir suchen, sind Kunden für unsere Produkte.“ Die gäbe es, ist er sich sicher, wenn nur die Produkte bekannt wären. Doch weil Vertriebspartner fehlen, wissen auch die Käufer nichts von ihrem potenziellen Glück.

So produzieren die Unermüdlichen immer weiter, immer weiter – und immer wieder für die Schublade. Die Ideen werden nicht ausgehen, denn der der Weg zu einer Erfindung liege im Alltag, so Moch. „Jeder stört sich an Problemen, akzeptiert sie aber. Ein Erfinder hat ein wachsameres Auge und akzeptiert sie nicht.“

Nicht akzeptieren wollte der vielseitig Interessierte – Moch ist nebenher noch Leiter einer Veganer-Kochgruppe und Ufologie-Experte – ein lästiges Geräusch in seiner alten WG, was zu seiner ersten patentierten Erfindung führte. „Ich nenne sie den Telefon-Mitklingeleliminator“. In der WG hatte er zwei Anschlüsse parallel geschaltet. Wenn er an seinem Telefon wählte, hörte die Mitbewohnerin immer das Rattern der Wählscheibe durch ihren Apparat. Mit dem kleinen Gerät kehrte Ruhe ein.

Derzeit denkt die Gruppe am Stammtisch über eine Erfindung nach, durch die Autos eine Million Kilometer fahren können. „Das geht. Die Idee ist da“, sagt Gerke. Aber weil Autos ein „heikles Thema“ seien, Ideenklau allgegenwärtig und Gerke sich mittlerweile schon „bedroht“ fühlt von der Industrie, will er lieber nicht zu viel herauslassen.

Bevor es endet wie seine kombinierte Wasch- und Spülmaschine: Nach dem letzten Geschirrspülgang fließt das Wasser in den Nachbartank, die Energie des heißen Wassers wird genutzt für die Vorwäsche. „Das will keiner kaufen. Es ist einfach nicht üblich, die Leute wollen zwei Geräte haben.“ Bislang schlummern diese Innovationen im Unbekannten. Ein Problem? Gerke winkt ab, denn er kennt die Lösung: „Es ist“, sagt er, „noch zu früh für die Menschheit.“