: Die langen Schatten des Profifußballs
Der Film „Im Westen ging die Sonne auf“ zeigt vergangene Kapitel des Ruhrgebietsfußballs. Im Mittelpunkt stehen vergessene Arbeitervereine, die heute oft nur noch von Einzelpersonen betreut werden
Der Greenkeeper von Westfalia Herne glaubt fest daran, dass auf seinem „Wembley-Rasen“ eines Tages Profifußball gespielt wird. „Am besten zum 100-jährigen Jubiläum 2004.“ Als er dies im Frühjahr 2002 ausspricht, spielt Westfalia in der Oberliga Westfalen – die Tendenz geht nach oben. Ein Jahr später folgt der Abstieg in die Verbandsliga.
Der jetzt als DVD erschienene Film des Regisseurs Wolfgang Ettlich „Im Westen ging die Sonne auf“ befasst sich in fünf Kapiteln mit vergessenen Klubs des Reviers: Rot Weiß Essen, Sportfreunde Katernberg, Spvgg. Erkenschwick, SV Sodingen und Westfalia Herne. Im Schatten der großen Nachbarn sind die Namen größtenteils verschwunden. Mit dem Niedergang des Bergbaus und mit der Einführung des Profifußballs begann der Abstieg der Klubs, die alle im strukturschwachen Norden des Reviers beheimatet sind.
Rot Weiß Essen ist jährlich auf dem Sprung in den bezahlten Fußball. Die Essener Legende Willy „Ente“ Lippens kann darüber schmunzeln. Als er spielte, waren die großen RWE Zeiten zwar vorbei, „immerhin bewegten wir uns zwischen erster und zweiter Liga.“ Schwarz-Weiß Aufnahmen zeigen das Meisterschaftsendspiel von 1955, das die Essener mit 4:3 gegen die Weltmeisterelf von Kaiserslautern gewann – drei Tore erzielte der legendäre Franz „Penny“ Islacker. Kapitän war Helmut Rahn.
„Boss“ Rahn begann seine Karriere bei den Sportfreunden Katernberg. Der Klub wurde damals von der Zeche Zollverein gesponsort. Das reichte, um in der Oberliga West zu bestehen. Heute ist Zollverein Weltkulturerbe und die Sportfreunde kicken am Lindenbruch auf Asche. Zu den Spielen in der Bezirksliga kann Kassiererin Katja Scholten die Besucher per Handschlag begrüßen. Warum tut sie sich den Job an? „Tradition und Gewohnheit.“ Den über 80-jährigen Ehrenpräsidenten Habs Sternheimer erkennt sie trotzdem nicht.
Der SV Sodingen überwintert als Spitzenreiter in der Landesliga. Nach dem Aufstieg in der Saison 2001/2002 folgte im letzten Jahr der Wiederabstieg. Das Auf und Ab ist typisch. Seit fast 40 Jahren ist Kassierer und Stadionsprecher Wehrenbrecht im Verein. Seinen Vornamen kennt keiner, der ehemalige Bankdirektor wird nur „Herr Wehrenbach“ genannt. Seine korrekte aber liebenswerte Art wirkt deplatziert. „Im Verein sieze ich die Leute.“ Damals als die Schlote und Fördertürme der Zeche Mont-Cenis den Spielfeldrand in Sodingen zierten, galt der Verein als hart. Über 10.000 Zuschauer feierten Unentschieden gegen Dortmund wie Siege. Heute heißen die Gegner Aplerbeck oder Neuruhrort. Oft kommen nur 100 Zuschauer.
Den Ruhm ernten die Großstadtvereine. Die Arbeitervereine haben die Geschichte des Revierfußballs entscheidend mitgeprägt. Der Film setzt ihnen ein kleines, sympathisches Denkmal. HOLGER PAULER
Wolfgang Ettlich: Im Westen ging die Sonne auf, Baukau Media, DVD/Video, 22,99 Euro