Angst vor dem Zwangsumzug

Drei Wochen vor dem Inkrafttreten von Hartz IV ist immer noch unklar, wie die neuen Regeln ausgelegt werden. Insbesondere Alleinerziehende befürchten, die Wohnung wechseln zu müssen. Und: Welche Kinderunterbringung gilt noch als zumutbar?

Bremen taz ■ Beim Gedanken an Hartz IV befällt viele Betroffene Existenzangst. Ganz besonders fürchten sich Alleinerziehende mit Kindern, die ahnen, dass ihre Miete über dem erlaubten Mietsatz liegen wird. „Was geschieht, wenn ihre Mietkosten zu hoch sind?“, fragt Andrea Lambrecht von der Frauenbeschäftigungs-Initiative Quirl. In der Waller Einrichtung ist die Unruhe der Frauen täglich spürbar: Werden betroffene Mütter oder Väter ihre Kinder aus dem vertrauten sozialen Netz oder sogar der Schule reißen müssen – damit die Erwachsenen am Ende in einem Injob ihre Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beweisen können? Diese und andere Schreckensvisionen verunsichern eine große Gruppe künftiger ALG-II-EmpfängerInnen. Das bestätigt auch Birgit Gessner von der Frauengleichstellungsstelle. Sie weiß auch: „Das alles ist noch nicht abschließend geklärt.“

Sozialpädagogin Andrea Lambrecht zeichnet unterdessen das bedrückende Szenario, das Alleinerziehende umtreibt – und das zudem der Absicht von Hartz IV, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, entgegen läuft. „Damit eine Mutter arbeitsfähig ist, braucht sie ein halbwegs intaktes soziales Netz“, sagt Lambrecht. Es sei deshalb widersinnig, ausgerechnet Eltern und Kinder aus der gewohnten Umgebung zu lösen. Jede Menge guter Gründe sprächen dafür, dass es allein mit stundenweiser Kinderbetreuung nicht getan sei. „Das Kind vergisst den Schlüssel, die Mutter muss Überstunden machen, das Kind kommt überraschend nach Hause… wenn es sich dann an die vertraute Nachbarin wenden kann, ist alles gut“, weiß Lambrecht aus eigener Erfahrung. Ein Umzug dagegen zerreiße die Bindungen und treffe die Kinder unverantwortlich hart – wie auch ihre buchstäblich armen Eltern.

Doch auf die Frage, die alle umtreibt „Was wird Alleinerziehenden demnächst zugemutet und wo werden die Grenzen der Zumutbarkeit liegen?“, gibt es vorerst nur ausweichende Antworten. So lange hängen Mutter und Vater von drei Kindern, mitten in der Trennung, in der Luft. Jede Entscheidung könnte sich in einem halben Jahr als doppelt verhängnisvoll für die Kinder herausstellen. Denn niemand weiß, ob Alleinerziehende in solchen Lagen eine Schonfrist bekommen – oder eben nicht. Und wer kann sagen, ob künftig nur die nächst gelegene Kinderkrippe als zumutbar durchgeht – oder vielleicht jede Unterbringung, die innerhalb von 30 Minuten zu erreichen wäre?

Die Bundesanstalt für Arbeit bastele an einer Empfehlung, die die Auslegung der Gesetze näher bestimmen soll, sagt Birgit Gessner. „Nicht in Panik verfallen“, rät unterdessen die Beauftragte für Chancengleichheit in der Bremer Agentur für Arbeit. Petra Käsner hat in den vergangenen Monaten vor unzähligen Frauen in unzähligen Einrichtungen gesprochen. „Es wird Regelungen geben“, versprach sie dann. Bislang richten sich alle Anstrengungen der Bremer Agentur jedoch darauf, den Stichtag 3. Januar und alle bis dahin anfallenden Zuweisungen möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen. Danach wird die große interne Umorganisation erwartet – und erst dann alles Weitere. Auch Käsner jedoch betont: „Kinderbetreuung ist das A und O.“

Arbeitssenatorin Karin Röpke (SPD) sieht das ebenfalls. Hartz IV bringe jedoch eindeutige Verbesserungen für Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen, sagt sie. „Der Fallmanager wird zuständig sein für Beratung auch in der Frage der Kinderbetreuung.“ Was die Sorge der Alleinerziehenden in Bezug auf die Miete betrifft, rät sie abzuwarten. „Wir werden in den ersten sechs Monaten niemanden zum Umzug auffordern“, verspricht Röpke. Diese Zeit werde genutzt, um Aufschluss über die Höhe der Mieten zu erhalten, die ALG-II-EmpfängerInnen in Bremen derzeit zahlen. ede