Und freundlich blinkt der Hacker

Der Chaos Computer Club trifft sich heute zur 20. Jahrestagung im Congress Center. Die Hacker reden über RFID, LFS oder PGP. Der Laie vergüngt sich mit der blinkenden Fassade am Haus des Lehrers

VON MARTINA WAGNER

Man nehme 520 Glühbirnen und schraube sie hinter mit matter Folie beklebte Fenster. Dazu schaltet man Elektronik, die jede einzelne Glühbirne in 16 Helligkeitsstufen erleuchten lässt. Fertig ist das größte Computer-Display der Welt. So veranstaltet der Chaos Computer Club eine neue Auflage der Lichtinstallation „Blinkenlights“ im Haus des Lehrers am Alexanderplatz: Noch bis in den Januar hinein kann man das Gebäude für seine individuellen Grüße und Kunstwerke als Großbildschirm nutzen. Im Gegensatz zur ersten Inkarnation im Jahre 2001 können die 144 Fenster der Front des Gebäudes – 8 Etagen mit jeweils 18 Fenstern – nun auch Graustufen darstellen. Und man kann per Mobiltelefon auf dem Haus Pingpong spielen.

Die Installation des Chaos Computer Club erlaubt auch wieder das Gestalten eigener Bilder und Animationen und anderer „Blinkenlights Loveletters“. Die dafür benötigte Gestaltungssoftware kann frei aus dem Internet heruntergeladen werden und animierte Filme dann an die Installation versandt werden. Kinderleicht kann jeder seine Botschaft verkünden und Berlin zum Leuchten bringen.

Mit der Installation wird das 20. Jubiläum des Hackertreffens im Congress Center nebenan eingeleitet. Dort herrschte schon vor dem heutigen ersten Kongresstag reges Treiben. Für die Aufbauarbeiten wurden jede Menge Kabel verlegt. Man hat das sichere Gefühl: hier regiert das Chaos und sein gleichnamiger Club.

Der CCC ist eine sympathisch durchgeknallte und mittlerweile überaus renommierte Hackerinitiative, die noch bis Montag ihren jährlichen Fachkongress veranstaltet. Wie üblich geht es drei Tage lang um „Technologie, Gesellschaft und Utopien“ mit Vorträgen und Workshops zu den verschiedenen Themen rund um Informationspolitik, Computersicherheit, Internet, Kryptografie sowie den Diskussionen über die Auswirkungen technologischer Entwicklung auf die Gesellschaft.

Ein Hackcenter zum Probieren und Studieren zählt ebenfalls zum Angebot. Neben dem klassischen Hacken auf Computern und anderen technischen Geräten veranstalten die Sportfreunde der Sperrtechnik (Lockpickers) die deutschen Meisterschaften im Schlossöffnen.

Zu den diesjährigen Highlights zählen unter anderem der Vortrag über RFID-Chips, deren geplante Einführung auf große Kritik bei Datenschützern stößt Radio Frequency IDentification sind Chips mit Antenne, die ihre Kennung auf kurze Entfernungen mittels Transpondern aussenden können. Natürlich wird es auch wieder reichlich Seminare geben, etwa zu Sniffing und Amateurfunktechnik. Auch die Wau Holland Stiftung stellt ihre aktuellen Projekte vor.

Und was wäre die Zeit vor Silvester ohne einen Jahresrückblick? Der Vorstand des CCC wird chronologisch einige Meldungen aus teilweise eher obskuren und alternativen Quellen aufgreifen, um so dem Geek, wie sich die Computerfreak selbst nennen, mal live zu zeigen, was er so an Tagesgeschehen verpasst hat.

Auch die weiblichen Besucher werden auf dem Kongress nicht zu kurz kommen, denn es gibt einen eigenen Haecksen-Space. Und der hat schon mittlerweile erheblichen Zulauf. „Die Gründerin der Haecksen, die Bielefelder Medienkünstlerin Rena Tangens, stand 1988 auf einem Chaos Congress, und stellte fest, dass außer ihr nur eine einzige Frau anwesend war, und die kochte Kaffee. Das war irgendwie nicht so das, was sie sich unter Frauenbeteiligung vorgestellt hatte und deshalb gründete sie zusammen mit der Hamburgerin Barbara Toens die Haecksen“, berichtet Tina Lorenz, Veranstalterin des diesjährigen Haecksen-Space. Seither ist dies eine gesonderte Plattform, sich über Computer und Technik auszutauschen, ohne gleich in die Männerdomäne hineinzugeraten.

Zum Programm gehören neben dem Haecksenzirkel, Linux From Scratch, ein Hands-on Workshop mit kurzem einführendem Vortrag zum Thema LFS (linuxfromscratch.org) – Linux im Eigenbau oder auch „PGP: Real User’s Guide“ – Wie bringt man sein Mailprogramm dazu, PGP zu sprechen? Wie generiert man Key und wie nutzt man Key-Server?

Der nicht ganz so technikfeste Laie sollte sich für den Anfang dann lieber doch an die einfach zu bedienenden Blinkenlights halten und versuchen dort eine passende Botschaft loszuwerden – zum Beispiel „Neujahrsgrüße an die taz-Leser“ oder „Tim ist der Tollste“… Die Telefondienste stehen unter der Rufnummer 01 90-98 76 54 bereit. Ein Anruf kostet 1,24 Euro pro Minute bei fairer, sekundengenauer Abrechnung. Die Einnahmen fließen als Spende an den CCC zur Deckung der Betriebskosten, damit Blinkenlights auch in Zukunft werbefrei bleibt.

Zu Silvester gibt es zusätzlich einen Countdown, der ebenfalls im Internet übertragen wird, mit einer riesengroßen Rakete. Hier, am Haus des Lehrers, zeigt die Stadt endlich ihr gehacktes Herz bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Und der Congress wird sicher wieder nett und skurril – die richtige Mischung zu den Tagen kurz vor Jahresende. Wenn man jetzt auch noch die übrigen Lichterketten in den Wohngebieten per Computer zum Reden bringen könnte: „Kommt rein, es gibt Kabelsalat“, „The answer is 42“ oder „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“, würde es ein wenig wärmer werden in der Seele und auch im World Wide Web!