Erst Euphorie, dann Ernüchterung

Vor einem Jahr erlebte Kenia einen historischen friedlichen Machtwechsel. Heute beherrscht die Aufdeckung der vielen Korruptionsaffären der alten Regierung Moi die Schlagzeilen. Aber die neue Regierung Kibaki gilt als nicht viel besser

AUS NAIROBI ILONA EVELEENS

Ein Jahr nach seiner Abwahl gibt es für Kenias ehemaligen Präsidenten Daniel arap Moi eine gute Nachricht. Er muss nicht wegen Korruption während seiner 24-jährigen Regierungszeit vor Gericht, entschied die Regierung seines Nachfolgers Mwai Kibaki Anfang dieser Woche. Allerdings bekommt Moi auch keine umfassende Immunität. Für persönliche Verbrechen kann Moi noch immer angeklagt werden. Aber davon ist zunächst keine Rede.

Für die Regierung Kibaki, die in Kenia nach Jahrzehnten des Niedergangs einen Neuanfang starten will, war es eine schwere Entscheidung, Moi vorerst in Ruhe zu lassen, erklärt John Githongo. Der ehemalige lokale Chef der Antikorruptionsbehörde Transparency International und heutige Direktor der neuen Antikorruptionsabteilung der Regierung sagt: „Viele schlimme Sachen geschahen unter Mois Führung. Aber wir glauben, dass es besser ist, ihn nicht zu verfolgen, sondern uns darauf zu konzentrieren, die in seiner Amtszeit gestohlenen vier Milliarden Dollar Staatsgelder zurückzubekommen.“

Schließlich habe Moi die Macht friedlich an Kenias Opposition übertragen, nachdem diese am 27. Dezember 2002 die Wahlen gewann. So etwas ist in Afrika immer noch Ausnahme. „Daran erkennen wir, dass Moi ein besonderer Kenianer ist“, lobt Githongo. „Wir wollen Moi nicht entwürdigen, indem wir ihn von einem Gerichtsverfahren zum nächsten schleppen. Er muss ein Vorbild bleiben, nicht nur für Kenia, sonst für ganz Afrika.“

Dank dem kleinen Department von John Githongo wird in Kenia Tempo gemacht im Kampf gegen die Korruption. Nationale und internationale Nachforschungen haben ergeben, dass sich eine Milliarde Dollar geklauter Staatsgelder aus der Ära Moi auf Bankkonten und in Immobilien im Ausland befinden. Das Geld, soweit es nicht bereits ausgegeben wurde, befindet sich hauptsächlich auf Konten in der Schweiz, Monaco, Großbritannien und den Cayman-Inseln in der Karibik. Kenia will versuchen, es zurückzubekommen. Insgesamt seien wohl vier Milliarden gestohlen worden, schätzt Githongos Abteilung.

Ein großer Teil davon verschwand im Rahmen der so genannten Goldenberg-Affäre, dem größte Finanzskandal Kenias und einem der größten Afrikas. Die Firma Goldenberg bekam Anfang der 90er-Jahre umgerechnet über 200 Millionen Euro Exportvorschüsse für die angebliche Ausfuhr von Gold und Diamanten, obwohl es in Kenia überhaupt keine Diamanten gibt und nur wenig Goldstaub.

Seit Beginn dieses Jahres gibt es eine öffentliche Untersuchung der Goldenberg-Affäre. Seitdem kommen Kenianer nicht mehr aus dem Staunen heraus. Nicht nur mit Exportvorschüssen wurde geschummelt, auch die Zentralbank wurde um hunderte Millionen Dollar bestohlen. Während der Anhörungen fallen Namen nicht nur von ehemaligen Ministern, sondern auch von amtierenden. Denn kurz vor den Wahlen waren einige Minister der Moi-Regierung zur Opposition übergelaufen – und regieren weiter.

Aber trotz aller Arbeit von Antikorruptionszar John Githongo sind die Kenianer ein Jahr nach dem Machtwechsel von ihrer neuen Regierung nicht mehr so begeistert wie am Anfang. „In der vorigen Regierung verwandelten sich Beamte und Minister in Diebe. Heute werden Diebe Beamte und Minister“, ätzt eine Karikatur in der führenden Tageszeitung Nation. Diese Bemerkung gibt die Stimmung im Land gut wieder. Vor einem Jahr wählten sie das Oppositionsbündnis Narc (Nationale Regenbogenkoalition), um sich der Korruption des alten Regimes zu entledigen. Aber heute herrscht bei den Bürgern der Eindruck vor, dass im Kampf gegen Korruption mit zweierlei Maß gemessen wird.

Einerseits bekommen Kenianer fast täglich von den Medien die Neuigkeiten aus Anhörungen über Korruption unter Moi aufgetischt – andererseits wird fast jeden Tag berichtet, wie Minister sich unrechtmäßig in staatliche Ausschreibungen einmischen. Man munkelt, ein Minister habe vor einem Jahr noch ein ganz bescheidenes Leben geführt – und heute baut er drei Häuser gleichzeitig und hat seinen Pick-up gegen eine Flotte von Luxusautos ausgewechselt. Vom Ministergehalt ist so etwas unmöglich.

Unter der Regierung von Moi stellten einige Geberländer aus Protest gegen die Korruption – etwa die Goldenberg-Affäre – ihre bilaterale Hilfe für Kenia ein. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) drehte vor sechs Jahren den Geldhahn zu. Wie ein Geschenk zum 40. Unabhängigkeitstag gewährte der IWF Kenia kürzlich 250 Millionen Dollar Kredit über drei Jahre. Das war ein Zeichen für bilaterale Geber, auch wieder den Geldbeutel zu öffnen. Aber sie müssen darauf achten, dass die Regierung Kibaki jetzt nicht erst die Belohnung einsackt – und dann den Kampf gegen die Korruption auf Sparflamme setzt.