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Archiv-Artikel

Der Kiez soll Schule machen

Bildungssenator Böger kündigt Zusatzbudgets für Schulen mit vielen Migrantenkindern an. Diese sollen damit in Abstimmung mit Quartiersmanagern etwa türkische Referendare zusätzlich einstellen

Von SABINE AM ORDE und PLUTONIA PLARRE

Schulen mit hohem Migrantenanteil sollen ein zusätzliches Budget erhalten, um in Kooperation mit dem Quartiersmanagement und Stadtteilgruppen besser auf die Probleme und Defizite der Kinder und Jugendlichen reagieren zu können. Das hat Bildungssenator Klaus Böger (SPD) in einem Interview mit der taz angekündigt.

Aus den Budgets, die vor Ort verwaltet werden, könnten Schulleiter zum Beispiel eine Referendarin türkischer Herkunft, Sozialarbeiter oder nichtpädagogische Fachleute wie Handwerksmeister beschäftigen, sagte Böger. Doch wann solch zusätzliche Kräfte anfangen könnten, ist offenbar nicht geklärt. Zur Frage der Finanzierung sagte Böger: „Entweder es geht durch Umschichtung schon zum neuen Schuljahr oder mit dem Haushalt 2006/2007.“

Zugute käme der Vorschlag den Grund- und Hauptschulen, die mit einem Migrantenanteil von bis zu 95 Prozent in Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg und Wedding als soziale Brennpunkte gelten.

Dem Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), geht Bögers Vorhaben allerdings nicht weit genug. Nicht erst seit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo von Gogh gehört Buschkowsky in Berlin zu den Leuten, die nicht müde werden, vor dem Entstehen einer Parallelgesellschaft in Stadteilen wie Neukölln-Nord zu warnen. „Der Zug setzt sich in Bewegung“, bewertet Buschkowsky positiv, dass die Politik anfängt, auf die Probleme zu reagieren. „Aber wenn es bei diesem Tempo bleibt, wird uns die Entwicklung überrollen. Wir brauchen an den Schulen keine Sozialarbeiter, sondern kleine Klassen und die Wiedereinführung des Förderunterrichts in den Klassen eins und zwei.“ Vor diesem Hintergrund sei Bögers Vorstoß nichts anderes als „eine Beruhigungspille“, so Buschkowskys Fazit.

Eine Stelle mehr pro Schule könne schon hilfreich sein, meint dagegen Joachim Zeller, Bezirksbürgermeister von Mitte (CDU). Es gebe Kieze, in denen die Schule der einzige Ort sei, wo noch eine Begegnung zwischen deutscher Gesellschaft und Zuwanderern stattfinde. Nachdem die Lehrer jahrelang mit den Problemen alleingelassen worden seien, sei Bögers Vorstoß „ein positiver Anfang, der aber noch lange nicht das Ende sein darf.“

Dass die Schulen künftig noch stärker als bisher mit den Stadtteilgruppen und Quartiersmanagern kooperieren sollen, wird an der Basis als „überfälliger Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt, sagt Susanne Sander, Quartiersmanagerin im Moabiter Beusselkiez. Zurzeit haben in Berlin 17 Stadtteile ein Quartiersmanagement. Die Schule müsse sich verstärkt für die Probleme des Stadtteils öffnen und umgekehrt, so Sander.

„Eine Stelle mehr pro Schule ist ein guter Anfang, schön wäre aber mehr“, sagt der Quartiersmanager vom Soldiner Kiez, Reinhard Fischer. Um der extremen Selektion etwas entgegenzusetzen, reiche eine Stelle bei weitem nicht aus. Mit Selektion ist gemeint, dass die meisten Eltern der Mittelschicht wegen des hohen Migrantenanteils wegziehen oder sich ummelden, wenn ihre Kinder zur Schule kommen.

In der Highdeck-Siedlung in Nord-Neukölln hat die Zusammenarbeit von Quartiersmanagement und Schule schon kleine Wunder bewirkt. Der Hof einer Grundschule wurde neu gestaltet, ein Computerraum eingerichtet. Eine noch engere Kooperation ist der richtige Weg, ist man sich einig. Eines allerdings fragt man sich: Was meint Böger, wenn er von türkischen Referendaren spricht? „Es gibt keine“, sagt eine Schulleiterin bestimmt.

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