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Archiv-Artikel

Ein gutes Wolfsjahr!

Wolf Joop und seine Memoiren, „Die Wölfe“ in Erlangen sowie politische Zoologie im philosophischen Diskurs: Eine kleine Wolflese zum Jahresende

„Man muss mit den Tieren leben, schlafen und heulen“, sagte Wolfsforscher Ziemen Es geht um den Wilden als „Vektor der Beherrschung“, sagen die Philosophen

VON HELMUT HÖGE

„A Wolf-Book a day keeps reality away!“ (Wolfdietrich Schnurre)

Wenn man sich einmal auf den Wolf eingestellt hat, dann stößt man laufend auf dieses Untier. Dazu traf ich neulich Cord Riechelmann im Literaturagentencafé EggersLandwehr, der mich zur Forcierung der Wolfsforschung ermunterte – und das Wort dieses wandelnden Lamarckisten wiegt schwer unter uns Amateur-Kynologen. Zudem tauchte an jenem Abend Wolf Joop dort auf. Er hatte seine Biografie veröffentlicht: „Im Wolfspelz“, die ich mir sogleich besorgte. Sie kam mir dann zwar vor, als habe ein Ghostwriter sie verfasst, aber die Kapitelmotti von Goethe, Neckermann etc. klangen authentisch. Ebenso die Schilderung seiner Camp-Umtriebe in New York. Das Wölfische behagte Joop schon im zarten HJ-Alter nicht, dafür schaffte er sich in New York aber einen exquisiten Loft-Hund namens Wolf an.

Der dickste Wolfhammer in dieser Dauer-Schonzeit war aber das „NS-Stück ‚Die Wölfe‘“, das ein junger Regisseur partout am Theater Erlangen aufführen wollte. Das deutsche Feuilleton geriet darüber derart in Rage, dass das „U-Boot-Drama“ nur mit einer „kritischen Begleitausstellung“ nebst „anschließender Diskussion“ über die Bühne gehen konnte.

Die ehemalige „Freundin“ des früh verstorbenen Defa-Regisseurs Konrad Wolf – des jüngeren Bruders des feinschmeckerischen DDR-Spionagechefs Markus Wolf – schreibt ebenfalls bald ihre Biografie, wie sie der Super-Illu verriet, der sie schon mal vorab steckte, dass die „Wolfbrüder“ zu Hause immer Russisch miteinander sprachen. Die Zeitschrift für authentische Ostdeutsche merkte dazu an: „Da kommen ja interessante Memoiren auf uns zu.“

Von der „Faszination Wolf: Ein Mythos kehrt zurück“ sprach dann auch der Feenforscher Wolfgang Müller – in der taz. Es bezog sich bei ihm auf den einst zur „Wiener Gruppe“ zählenden Literaten Oswald Wiener, der erst ins Berliner „Exil“ auswich, wo er eine gleichnamige Kneipe eröffnete, und dann nach Labrador, wo er ebenfalls ein Lokal betrieb: so abgelegen, dass er quasi vor der Haustür das herrlichste „Wolfsgeheul“ aufnehmen konnte – das er jetzt als CD verkauft.

Außerdem lobte Müller ein neues Buch aus dem Kosmos-Verlag, in dem es um die in Ostelbien wieder heimisch gewordenen Wölfe aus Russland geht. Diese waren heuer auch den „Letzte Seite“-Redakteuren manchen Aufmacher wert: „Im Osten gedeihen die Wölfe“ titelte etwa die Süddeutsche. Der Grund: Allein das Oberlausitzer Wolfsrudel vermehrte sich um 14 Welpen. Das sei in „Fachkreisen eine echte Sensation“, kommentierte Sachsens Umweltminister Steffen Flath das freudige Ereignis – besonders in diesem Jahr 2003: da der Wolf zum „Tier des Jahres“ gekürt wurde. Den Hundebesitzern beantwortete die Bild daraufhin die Frage: „Wie viel Wolf steckt in meinem Fiffi?“ So etwas lässt sich nun bei einer „Tier-DNA-Datenbank“ ermitteln.

Dann kam die Buchmesse, und hier gab es heuer noch mehr Wolfstitel als im vorigen Jahr. Leider wurde das Großereignis vom Tod des Vaters der deutschen Wolfsforschung Erik Ziemen überschattet. In einem Nachruf verglich die FAZ ihn mit der Schimpansenmutter Goddall und dem Graugansvater Lorenz, denn auch für Ziemen galt: „Man muß mit den Tieren leben, schlafen und heulen!“ Erik Ziemen arbeitete mit seiner Frau Mona zusammen, mit der er vier Kinder hatte – „und stets die Einöde suchte“. Hier kam ihm die Idee, dass nicht der Mann aus dem wilden Wolf einen treuen Hund machte, sondern die Frau – indem sie „vor vielleicht 15.000 Jahren“ die Wolfswelpen „regelrecht säugte“. Die These von Erik und Mona werde allerdings „von vielen Zoologen kritisiert“.

Nun gibt es aber zwei Neuerscheinungen aus Paris, die diese heikle Frage zwar nicht direkt beantworten, sie aber elegant umschiffen: zum einen „Das Schweigen der Wölfin“ von Sophie Schallingher. Bei dem im Postsartre-Milieu angesiedelten Gender-Thriller geht es um Alexandra, die sich von ihrem gewalttätigen Ex-Ehemann Frank bedroht und von ihrem sympathischen Freund John nicht genügend beschützt fühlt, so dass sie schließlich lernt, „sich selbst zu wehren“, und zur „Kämpferin“ wird.

Ganz anders der alte „Alchimist der Angst“ Jean-Christophe Grangé in seinem Roman „Das Imperium der Wölfe“: Im „Pariser Türkenviertel“ werden „bestialisch“ laufend rothaarige Frauen umgebracht. Natürlich steckt mal wieder die türkische Mafia dahinter, aber bis man da drauf kommt, ist es längst zu spät: „Grangé packt seine Leser bei den Eingeweiden“ – urteilt Samedi Plus, eine Supermarktkette, die nur am Samstag aufhat.

Über die sich wandelnde Spannung zwischen „Bürger und Wölfen“ geht es auch in zwei Berichten aus Russland und Deutschland. In der GUS wurden nach der Wende erst die Prämien für Wolfabschüsse erhöht – als eine Form von versteckter Arbeitslosenunterstützung. Aus Einsparungsgründen wurden sie jedoch rasch immer weiter gekürzt. Jetzt hat man aber einen neuen Finanzierungshebel gefunden: Für jeden getöteten Wolf dürfen die Jäger einen Hirsch abschießen. „So ist nun allen geholfen“, wird dazu der jakutische Minister für Naturschutz und Soziales zitiert.

Der deutsche Beitrag über „Bürger und Wölfe“ (in der Textsammlung „Vom Sinn der Feindschaft“, erschienen im Akademie Verlag) versteht sich als Versuch einer „politischen Zoologie“, die laut der beiden Autoren Joseph Vogl und Ethel Matala de Maza „stets eine Lehre von zoo-politischen Metaphern ist“.

Das hatte auch schon Peter Kropotkin über die Darwin’schen Begriffe – wie den „Kampf ums Dasein“ – gesagt. Der aktuelle Versuch zielt jedoch auf den „Politik-Begriff“ des rechten Anarchs Carl Schmitt, dem die Autoren sich über Schillers „Verbrecher aus verlorener Ehre“ nähern. In Schillers „wahrer Geschichte“ wird dieser aus der menschlichen (Feudal-)Gesellschaft ausgestoßen und in die „Wildnis“ verbannt, wo er zu seinem Erstaunen „brüderliche Aufnahme, Wohlleben und Ehre“ findet. Auch den Topos vom guten Wilden diskutierte bereits Kropotkin. So versicherte ihm z. B. der Bischof von Ochotsk und Kamtschatka, Venjaminoff, 1864 persönlich, dass er es ablehne, die Aleuten zu taufen, „da die Bekehrten dann mit ihrer eingeborenen Moral brechen, die unter ihnen sehr hoch entwickelt ist“. Für Schiller kommt es jedoch darauf an, dass der Verbrecher reuig bekennt, weiter in unserer Mitte weilen zu wollen, „um den Staat zu versöhnen, den er beleidigte“.

Von hier aus ist es in der Tat nur noch ein Schritt hin zu Carl Schmitt. Nebst Werwolf, Giorgio Agamben, Foucault und Derrida. Vogl und Matala de Maza geht es dabei um „Grenzen“ und um Wilde als „Vektor der Beherrschung“. Spätes barbarisches Beispiel ist den Autoren hierfür „Die Bauernchronik: Der Wehrwolf“ von Hermann Löns. Dieses prämoderne Wölfischwerden hat sich nun aber in sein Gegenteil verkehrt bzw. grell mit „Modernem, Überliefertem und Archaischem“ verwoben, wie Nadeschda Mandelstam in „Das Jahrhundert der Wölfe“ über die Lyrik von Ossip Mandelstam schreibt.

So sind es in Victor Pelewins Erzählung „Werwölfe in der mittelrussischen Ebene“ die Angehörigen einer Russen-Mafia, die sich bei Vollmond in Werwölfe verwandeln, wobei sie jedoch die Rangabzeichen und Befehlsstrukturen der sowjetischen Partisanen annehmen. In Thomas Pynchons Roman „Mason & Dixon“ dagegen verwandelt sich ein (englischer) Werwolf namens Ludewik, der in einem unterirdischen Tunnellabyrinth (ähnlich dem der Partisanen von Odessa) überlebt hat, regelmäßig und zum Schrecken seiner Mitmenschen in einen „glatt rasierten, etwas schmalen Jüngling“ – einen „Durham-Dandy in Silberbrokat“.

Für diese jeunes loupes gibt es jetzt in Deutschland immer mehr „Herrsch-Schulen“: Gerade gründete ein Kaufhauskonzern die Hertie-School of Governance und die Berliner Humboldt-Uni zusammen mit der Frankfurter Viagra eine ebensolche Stätte zum „Studium der hohen Regierungskunst“, wie die Frankfurter Rundschau schreibt. Für 17.500 Euro kann man dort einen „Master of Public Policy“ (MPP) erwerben. Aus Frankfurt (Oder) konnte eine Studentin namens Janna bereits empört erste Erfolge vermelden: „Stell dir vor, in einem Managerkurs sagte der Dozent neulich: ‚Wenn man anderen beruflich was Gutes tut, tut man sich selber nichts Gutes.‘ Und das haben alle um mich herum eifrig in ihre Hefte geschrieben.“

Wir haben es hier nicht mit einer Wolf-Hund-Dialektik zu tun, sondern mit Darwin versus Lamarck. Gregor Gysi vereinte an Weihnachten beides: als Erzähler in „Peter und der Wolf“ – im Konzerthaus Berlin.