: Ein erfülltes Sportlerleben
Vor dem heutigen Auftaktspringen der Vierschanzentournee wartet Sven Hannawald noch auf seinen ersten Saisonsieg. Dennoch kann der 29-Jährige gelassener als jeder andere an den Start gehen
AUS OBERSTDORFKATHRIN ZEILMANN
Von manchen Siegen kann man lange zehren. Wenn man etwas geschafft hat, das bis dahin unerreicht war und wohl so schnell nicht mehr wiederholt werden kann, wenn man dabei auch noch eine große Anhängerschaft für sich begeistern konnte – dann reicht das manchmal, um ein ganzes Sportlerleben auszufüllen.
Sven Hannawald ergeht es so. Er hat vor zwei Jahren als erster Springer alle vier Einzelspringen der Vierschanzentournee gewonnen. Und in diesen Tagen, da er und seine Kollegen wieder ins Allgäu gereist sind, um heute in Oberstdorf das erste Springen der Tournee auszutragen, treffen ihn immer wieder Fragen zu jenen Tagen vor zwei Jahren, als er mit scheinbarer Leichtigkeit und fast blinder Sicherheit immer wieder gewann.
Aus Hannawald ist damals ein Star geworden: Einer, der in professioneller Begleitung seines Managements von Weltcup-Ort zu Weltcup-Ort zieht, der bei allen TV-Interviews die Symbole seiner Sponsoren brav vorzeigt, der in Werbespots gute Laune verbreitet, der mit Plaudereien aus seinem Privatleben („Ich backe gerne Kuchen.“ – „Irgendwann will ich mir ein großes Haus bauen.“) vor allem weibliche Fans verzückte. Er trägt sein Haar nun länger und verweist gern auf sein Vorbild, den Fußballer David Beckham. Er will in eine größere Wohnung umziehen – fast gierig saugt die Öffentlichkeit all diese Episoden auf. Und Sven Hannawald liefert sie gern.
Vor dem Oberstdorfer Springen soll Hannawald erklären, wie er denn in diesem Winter die Tournee zu gewinnen gedenkt. „Aber 50 andere wollen das doch genauso. Die besten 15 im Weltcup können gewinnen, ich will da keinen namentlich nennen“, weicht er den Fragen aus. Überhaupt, aus Hannawalds Mund komme selten etwas Substanzielles, mäkeln Kritiker. Tatsächlich wiederholt er sich oft, wenn er gefragt wird, als Journalist müsste man manchmal gar nicht mehr mitschreiben, denn die Sätze sind häufig gleich: „Ich will eine Granate zünden“, sagt er, wenn er seine Erwartungen an einen Wettbewerb formulieren muss. Oder wahlweise: „Ich will einfach mein Zeug machen.“ Für die einen sind diese Sprüche Kult, für die anderen Ausdruck von Verlegenheit und einem Hang zur Albernheit.
Die Person des Skispringers Sven Hannawald ist nicht schwer zu begreifen. Tiefsinnige Abhandlungen oder überraschende Aktionen sind seine Sache nicht. Er trainiert, er springt, er will gewinnen und sich im Rampenlicht sonnen. So einfach ist das. Und manchmal auch wieder nicht. Denn es funktioniert nicht immer mit dem Siegen. Erst mit fast 24 Jahren – in dem Alter, in dem andere entweder schon lange auf der Seite der Erfolgreichen stehen, sich mit dem Mittelmaß abgefunden oder die Sprungskier endgültig abgeschnallt haben, schließt der ewige Mitläufer Hannawald zu den Spitzenspringern auf. Als er 2001 wieder aus diesen Regionen zu fallen droht, an einem Virus erkrankt und motivationslos durch den Weltcup irrt, sieht das fast schon beängstigend aus. Eine in sich ruhende Zuversicht und eine klare Analyse der eigenen Fehler, wie es der strauchelnde Vierfachweltmeister Martin Schmitt in der Formkrise demonstriert – dazu ist Hannawald nicht fähig. Er verkriecht sich, benötigt von vielen Seiten Zuspruch, um wieder erfolgreich auf die Schanze zurückzukehren.
Dass er in dieser Saison noch nicht gewonnen hat und noch nicht einmal unter die besten drei gekommen war, befremdet den 29-Jährigen, auch wenn er eigentlich auf die Wetterkapriolen, die fast jede Konkurrenz beeinträchtigt hatten, verweisen könnte. Er flüchtet sich in Phrasen, erklärt: „Gut Ding will Weile haben.“ Hannawald weiß schließlich zweierlei: Die Schanzen der Tournee kommen ihm und seinem Sprungstil entgegen, ein Erfolg scheint nicht mehr weit. Und auch wenn in diesem Winter der Tourneesieg nicht an ihn, sondern an einen anderen gehen sollte – er wird dieses Mal und im nächsten Jahr und auch im übernächsten Jahr wieder im Mittelpunkt stehen, weil er derjenige war, der alle vier Springen gewann.