: berliner szenen Peter Pan
Im Altersheim
Er ist ein völlig unerwachsener Mensch. Nichts an ihm ist erwachsen. Manchmal beschwert er sich stundenlang; die anderen hätten dies oder das bekommen, nur ihm sei immer alles vorenthalten worden, und dann kichert er wieder so komisch und es ist wieder okay. Sein Körper ist gealtert, sein Geist, seine Seele sind nicht gealtert, aber das hilft ihm ja gar nichts, dass er nicht gealtert ist, dass er so ein vierjähriger Junge geblieben ist. Und manchmal auch ein elfjähriger Junge, so ein vorpubertäres Geschöpf jedenfalls, dass voller Überzeugung „Iiiiiih“ schreit, wenn dieses eine Video von Britney Spears auf MTV kommt. „Iiiiiiiiiih – das ist ja ekelhaft!!“
Denn er trägt diese Zeit mit sich herum; die Vorbeat- und Prä-Rock-’n’-Roll-Zeit, diese Schlager, die viele Schwule ja auch so gut finden, die 50er-, 60er-, 70er-Jahre, in denen er sich nach den 30er- und 40er-Jahren gesehnt hat, weil ihm die 60er und 70er zu modern waren. Er ist auf eine Weise ein kleiner Junge, wie man in den 50er- und 60er-Jahren vielleicht ein kleiner Junge gewesen war. Darin ist er sehr überzeugend, das macht seinen Reiz und seine Jugendlichkeit aus, und man findet es ja auch immer sehr berührend und schön, wenn er sagt, wie gerne er ein kleines „Hundchen“ hätte, oder wenn er erzählt, wie die seine Wohnung desinfiziert hätten: „20 Mäuschen haben sie hier aus der Wohnung herausgeholt. Der Kammerjäger war gekommen. Ich wollte nicht, dass die Mäuschen sterben. Die Mäuschen haben ja nichts getan. Nur der Mäuserich war furchtbar. 28 Mäuschen sind hier umgebracht worden.“
Wenn man in sein Gesicht schaut, sieht man manchmal in diesem Gesicht das junge Gesicht dessen so völlig hilflos herumzappeln, der er einmal gewesen war. DETLEF KUHLBRODT