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Archiv-Artikel

die bedeutendsten trinkwerke der ahnen von EUGEN EGNER

Die Einwohner des Landes meiner Vorfahren waren pausenlos so betrunken, dass ihnen nicht klar war, ob sie sich in Ostpreußen oder an der Elfenbeinküste befanden. Eigentlich praktizierten sie eine Mischung aus beidem. Die Unterschiede in den Details verschwammen ihnen dabei.

Mit ihren großen Flaschen saßen die Alten nachts unter dem Mond, die Jungen rumorten in Stauden und Straßen. Sie verschluckten sich häufig an selbst gebrannten Getränken: hustend, blökend und speiend zu jeglicher Stund. Führten sie einmal Krieg gegeneinander, tranken sie gar den Treibstoff ihrer Kettenfahrzeuge. Mancher fiel davon blind, tot oder auch anders gezeichnet hin.

Aufgrund körperlicher Überlegenheit und ihrer auf das Allernötigste beschränkten Rolle in Fortpflanzungsangelegenheiten konnten sich die Männer den Alkoholismus als ihre Domäne sichern. Im Falle der weiblichen Gleichberechtigung auf diesem Gebiet wäre kein lebensfähiger Nachwuchs mehr zur Welt gebracht worden. In jener Gegend war es der Brauch, Kleinkinder mittels schnapsgetränkter Knebel ruhigzustellen. Was dort das Erwachsenenalter erreichte, war robust, verschlagen und unmusikalisch. Es wurden lediglich Schweinereien ad libitum zu einfachsten Tonfolgen gegrölt. Als Instrumente dienten der Bevölkerung getrocknete Seeigel, in die zwecks Geräuscherzeugung hineinzublasen seit Generationen erfolglos versucht wurde. Außerdem waren mit Kronkorken gefüllte und mit Einmachgummis bespannte Hirnschalen in Gebrauch. Der Dorfschulze besaß in der Regel eine verbogene Trompete oder eine Mundharmonika.

Mein Großvater war der bedeutendste Musiker des Landes gewesen. Ihm verdankte das Volk den Gassenhauer „Wenn du meine großen Füße am Fenster siehst“, das einzige schriftlich fixierte Werk jener Nation. Im Delirium war, so wird berichtet, Großvater unvermittelt von der Wucht der Inspiration zu Boden geschleudert worden. Gespannt hatten alle abgewartet, worauf er hinaus wollte, ob der Erleuchtete einen epileptischen Anfall erlitt, in dessen Folge er eine Weltreligion begründen würde, oder ob er schlicht eine Zeitlang krakeelte und dann krepierte. Nichts davon. Mein Großvater zog sich Schreibzeug aus der Nase (manche behaupten: aus dem Hintern) und schrieb drei Tage und drei Nächte lang „Wenn du meine großen Füße am Fenster siehst.“

Woher er schreiben und lesen konnte, war allen ein Rätsel. In seiner Jugend hatte er den Lehrer der Dorfschule nur mit Steinen und Flaschen beworfen und sich nie zum Unterricht eingefunden. Der Lehrer hatte selbst weder das Schreiben noch das Lesen beherrscht. Also bedeutete meines Großvaters Komposition ein Wunder pfingstartigen Ausmaßes. Von weither pilgerten die Menschen zu ihm, um sich von seinen großen Füßen am Fenster segnen zu lassen. Durch bloßes Fußauflegen konnte er solide Räusche bewirken. In keinem Fall klagten die Gesegneten später über Katerbeschwerden – unfehlbar wurde Großvater heilig gesprochen. Er kaufte sich eine goldene Uhr und ein Motorrad. Auf Letzterem raste er drinnen und draußen rücksichtslos herum, bis er volltrunken in der Wasserleitung stecken blieb.