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Archiv-Artikel

Das große Rede-Roulette

Das neue Interview-Magazin „Galore“ möchte möglichst viele und möglichst gute Gespräche mit prominenten Künstlern bieten. Doch das meiste in der ersten Ausgabe ist leider nur veraltet

VON ARNO FRANK

Galore ist 260 Hochglanzseiten stark, fast ein Kilogramm schwer und mutet auch sonst an wie ein Telefonbuch. Dutzende Musiker, Künstler, Kicker, Moderatorinnen, Produzenten, Schauspielerinnen, Fußballschiedsrichter, Modemacher und Designer werden hier nach ihrer Arbeit befragt. Überwiegend Musiker. Einziges Bindeglied der sehr verschiedenen Interviews ist das journalistische Genre selbst, das Gespräch. „Gute Gespräche zeichnen sich durch Zeitlosigkeit aus“, sagt Michael Lohrmann vom Visions Verlag. Tun sie das?

Lohrmann hat vor 14 Jahren das Dortmunder Musikmagazin Visions auf den Weg gebracht und nun mit Galore offenbar alle Texte wegdruckt, die er im Archiv finden konnte. Mit diesem Kompendium hat er das „Best of“-Prinzip auf den Magazinmarkt übersetzt, was Kurzweil verspricht und dem Heft einen Spitzenplatz auf jedem Zeitschriftenstapel neben der Kloschüssel sichert.

Entstanden ist ein „Reader’s Digest“ möglichst prominenter Namen, ungeachtet der Aktualität der Interviews. Was sich beim flüchtigen Durchblättern – doch, fühlt sich gut an – manchmal arg kurios liest. Da erzählt Rick Rubin, der legendäre Produzent von Johnny Cash, von einer radikalen neuen Band, die er als Nächstes zu produzieren gedenke – die Gruppe heißt System Of A Dawn, ist inzwischen drei Alben alt und längst etabliert. Thom Yorke, Sänger von Radiohead, spekuliert Seiten füllend über die künftige Musik der Gruppe – ins Leere, weil inzwischen auch schon drei Studioplatten und ein Live-Album beredt Auskunft darüber geben. Was sich seit 1996 im Leben von Iggy Pop getan hat, das würde man auch gerne wissen. Und das Gespräch mit dem Schweizer Maler, Coverkünstler und „Alien“-Designer Hans Ruedi Giger hat acht Jahre auf dem Buckel, der Methusalem unter den Interviews. Fairerweise sind vor jedem Gespräch Datum und Umstände der Entstehung vermerkt – etwa ob ein Interview per Telefon geführt wurde, ein wichtiges Detail, das bei handelsüblichen Musikmagazinen gerne unterschlagen wird.

Wer fröhlich Angestaubtes publiziert, der muss natürlich über Zeitlosigkeit referieren. Und vorsorglich ankündigen, schon in der nächsten Ausgabe (am 1. März) den Anteil an älteren Gesprächen von derzeit rund der Hälfte auf etwa zehn Prozent herunterzufahren. Sollten bis dahin nicht genügend Interviews einlaufen, will Lohrmann sein üppiges Heft sogar um 32 Seiten abspecken. Was schade wäre, heißt Galore doch „eine ganze Menge“. Immerhin 100.000 Exemplare liegen seit dem 1. Dezember am Kiosk, zum Preis von knapp fünf Euro. Kaufen sollte das der ideale Leser „ab 25 Jahre“.

Redaktionell dürfte Lohrmanns Projekt, bis auf das übersichtliche Layout und die Kurzbiografien im Anhang, nicht allzu aufwändig gewesen sein. Braucht es auch nicht, weil hier der Wortlaut für sich selbst stehen will. Die postmoderne Parade höchst unterschiedlicher Gespräche mit Menschen, wie sie verschiedener nicht sein könnten, macht die Lektüre manchmal zu einem Roulette-Spiel. Niete oder Glücksfall? Das Spektrum reicht vom hilflosen Umkreisen des Gegenübers („Ich habe im Internet gelesen, dass Sie bei Ihren Großeltern aufgewachsen sind“) bis zu erhellenden Gesprächen, die diese Bezeichnung wirklich verdienen. So liest sich das Magazin manchmal wie ein kurzweiliges Handbuch richtiger und falscher Interviewtechniken. Warum allerdings eine überflüssige Modestrecke das simple Konzept verwässern muss, wird Lohrmanns Geheimnis bleiben.

Publizistisch drängt Galore also mit Macht in eine recht enge Marktlücke. Und trifft dort auf die einzig ernst zu nehmende Konkurrenz: Das Magazin Alert hat den Weg gebahnt, den Galore nun mit Siebenmeilenstiefeln abschreitet.

Das Heft von Max Dax, aufmerksamen Leserinnen und Lesern der taz-Kultur kein gänzlich Unbekannter, hat im Gegensatz zu Galore weder einen potenten Verlag noch ein überquellendes Archiv im Rücken. Statt durch schiere Quantität überzeugt Alert mit Aktualität und direktem Anschluss an relevante feuilletonistische Diskurse. Ganz ohne dickes Marketing-Budget ist Alert der gedruckte Beweis dafür, dass es für Interview-Magazine im deutschsprachigen Raum überhaupt einen Markt gibt.

Hoffentlich ist Platz für beide, hoffentlich erdrückt der Newcomer nicht den Pionier. Und hoffentlich kommt niemand auf die Idee, eines Tages Galore und Alert zu fusionieren. Gallert. Das wäre fürchterlich.