: Sieg für Nationalisten
Bei den serbischen Parlamentswahlen erhält die Radikale Partei die meisten Stimmen. Die Bildung einer Regierung scheint kaum möglich
AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI
Freudenschüsse waren in der Nacht zu Montag in dem Belgrader Vorort Zemun, der Hochburg der Serbischen Radikalen Partei (SRS), zu hören. Ein grandioser Wahlsieg wurde im und vor dem Wahlstab gefeiert und bejubelt. Laut ersten Teilergebnissen erreichten die Radikalen bei den Parlamentswahlen 27,7 Prozent der Stimmen. Für Hochstimmung sorgten auch Slibowitz und Volksmusik. Auf der Straße wurde unter gut gelaunten Anhängern Glühwein verteilt. „Mit den Radikalen wird’s radikal besser“, schrien die Menschen.
Und dann ein stiller, andächtiger Moment. Man widmete den Wahlsieg dem geliebten Parteichef und Führer Vojislav Šešelj, der, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, im Gefängnis des UNO-Tribunals in Den Haag auf seinen Prozess wartet. Der Häftling soll Serbien in eine glorreiche Zukunft führen, seine treuen Radikalen würden dies auf dem politischen Schlachtfeld Serbiens schon ermöglichen.
Hektisch versuchten Analytiker gleich nach dem Urnengang – die Wahlbeteiligung lag bei knapp unter 60 Prozent – den überzeugenden Wahlsieg der extrem nationalistischen Radikalen herunterzuspielen. Mit den nicht salonfähigen Nationalisten würde sich keine andere Partei auf eine Koaltion einlassen, die so genannten demokratischen Kräfte würden dafür sorgen, dass man die Radikalen von der Macht fern hält. Eine andere Frage lautet, ob eine Regierungsbildung überhaupt möglich ist. Zu viel böses Blut belastet die Beziehungen im zerstrittenen demokratischen Block. Während der Wahlkampagne bekämpften sich die proeuropäischen Parteien lieber gegenseitig und ließen die erstarkten Nationalisten außer Acht.
Die serbische politische Landschaft ist nach den Wahlen übersichtlich geworden. Wegen des immer noch geltenden Wahlgesetzes des Milošević-Regimes ist ganz Serbien eine Wahleinheit, und so schafften es von neunzehn Parteien nur sechs ins Parlament. Darunter kein einziger Vertreter von nationalen Minderheiten, die über 30 Prozent der Bevölkerung stellen. Ein „ethnisch reines Parlament“, bemerkten bereits einige Kritiker.
In der Demokratischen Partei (DS) des im März ermordeten Premiers Zoran Djindjić, die 12,6 Prozent erreichte, leckt man sich die Wunden. „Ohne die DS gibt es keine demokratische Regierung“, erklärte Parteichef Boris Tadić. Man habe versucht, die DS zu marginalisieren, gar zu vernichten, und habe es nicht geschafft. In den Parteiräumen der DS schien das Wichtigste zu sein, dass man besser als die konkurrierende Partei „G 17“ (11,7 Prozent) abgeschnitten hatte.
Der zum Rückzug gezwungenen Regierung von Premier Zoran Zivković unter Federführung der DS haben die Wähler endlose Korruptionsaffären und grobe Betrügereien bei wichtigen Abstimmungen nicht verziehen. Tadić hat die von Skandalen belastete, unpopuläre Partei übernommen, um zu retten, was es noch zu retten gibt – und hat es zum Teil auch geschafft.
Zu den Siegern dieser Wahlen gehört der Monarchist Vuk Drasković, Vorsitzender der national orientierten, der serbisch-orthodoxen Kirche und der Krone nahe stehenden „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO). Sie bekam 8,2 Prozent. Er beteuerte, sich auf keine Koalition mit den Radikalen einlassen zu wollen. Sollte es zu einer Koalition der demokratischen Kräfte – DSS, DS, G 17 – kommen, wäre die SPO das Zünglein an der Waage.
Die moderat nationalistische Demokratische Partei Serbien (DSS), unter der Führung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten, Vojislav Koštunica, die 18 Prozent der Stimmen erhielt, zählt sich zu den Verlierern: Sie wurde im Zweikampf um national gesinnte Wähler von der SRS überzeugend geschlagen.
Ein schwerer Rückschlag für Serbien ist, dass Investoren wegen des Aufschwungs der rechts-radikalen Kräfte und der mangelnden Rechtssicherheit abgeschreckt werden. Europäische Firmen wollen zuerst die politische Entwicklung abwarten, bevor sie investieren. Eine Regierungsbildung könnte sich als unmöglich erweisen. Die meisten Parteiführer kündigten an, sich sofort auf neue Wahlen vorzubereiten. Vorerst bleibt Serbien im politischen Chaos.
meinung und diskussion Seite 10