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Archiv-Artikel

Drohungen gegen afghanischen Delegierten

Abgeordneter der Loja Dschirga, der den Zusatz „islamisch“ aus dem Staatsnamen streichen wollte, sucht UN-Schutz

KABUL taz ■ Bei der in Afghanistans Hauptstadt tagenden Verfassungsversammlung ist erneut ein Delegierter massiv bedroht worden. Muhammad Rauf Mehdiund hatte er mit einem Kollegen Unterschriften für eine Resolution gesammelt, um den Zusatz „islamisch“ aus dem Staatsnamen zu streichen (siehe taz-Interview vom 30. 12.).

„Wir lassen nicht zu, dass jemand unsere heilige Religion des Islam beleidigt“, sagte ein nordafghanischer Geistlicher, angesprochen auf Berichte, er und Freunde hätten Mehdi bedroht. Er selbst sei nicht in die Vorfälle verwickelt, sagte der Mann mit der typischen Filzmütze der Mudschaheddin, aber bestätigte ungefragt, dass andere Abgeordnete Mehdi „an den Kragen“ gegangen seien. Islamisten werten dessen Resolution als „antiislamische Initiative“. Mehdi war beim Unterschriftensammeln an den Falschen geraten.

Zuvor hatten der Warlord Abdul Rab Rasul Sajjaf und der islamistische Expräsident Burhanuddin Rabbani – beide Wortführer der starken fundamentalistischen Fraktion in der Kabuler Loja Dschirga (Ratsversammlung) – Mehdi zum „Gespräch“ in kleiner Runde einbestellt. Sie beschuldigten ihn, gegen sie und gegen den Islam zu arbeiten und sich damit zum „Kafir“, zum „Ungläubigen“, und zum „Kommunisten“ zu machen. Danach widerholten andere fundamentalistische Abgeordnete diese Ausfälle gegen ihn.

Mehdi, der vor 20 Jahren seinen Dozentenjob an der Kabuler Universität in Richtung Exil in Iran verlassen musste, sah sich deshalb gestern Morgen gezwungen, die lokale UN-Mission (Unama), Diplomaten und die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission von den Vorfällen zu unterrichten. Diese versuchen nun, Mehdi – dessen Angaben von zwei weiteren Delegierten bezeugt werden – zu schützen.

Die Drohungen sind kein Einzelfäll. Vergangene Woche musste Malalai Dschoja, eine Delegierte aus der Provinz Farah, unter UN- und Polizeischutz gestellt werden. Sie hatte gefordert, die anwesenden Warlords als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Auch Prominente sind gegen Angriffe nicht gefeit. Haschmat Ghani, Bruder des mächtigen Finanzministers, wurde von Sajjaf persönlich bedroht, nachdem er am Montag dessen undemokratische Vorgehensweise auf der Loja Dschirga angegriffen hatte.

Mehdis Resolution hatten bis zum Abgabeschluss am Montag 146 Delegierte unterschrieben – 5 zu wenig, um das Quorum von 30 Prozent zu erfüllen und um sie dem Loja-Dschirga-Sekretariat zur Abstimmung vorlegen zu können. Doch selbst die notwendige Stimmenzahl hätte nichts genutzt. Wie der 46-jährige Bauingenieur der taz sagte, hat sich kein Unterzeichner getraut, die Resolution vom Podium der Loja Dschirga aus zu verteidigen.

JAN HELLER