: Allein unter Rüpeln
Um sich für die Olympischen Winterspiele zu qualifizieren, spielt die Eishockey-Torfrau Esther Thyßen in zwei Männerteams mit. Für das Ziel Turin 2006 absolviert sie an Wochenenden bis zu vier Partien
AUS GREFRATHROLAND LEROI
Korpulente Männer stürmen auf Esther Thyßen zu. „Manche laufen mich einfach um, wahrscheinlich finden die das spaßig“, sagt die 25-Jährige, die sich längst daran gewöhnt hat, regelmäßig von Rüpeln mit schlechten Manieren umgeben zu sein. Denn Esther Thyßen gehört zu den besten Eishockey-Torfrauen Deutschlands. Um sich weiter zu steigern und vom Bundestrainer Peter Kathan für die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin nominiert zu werden, spielt und trainiert sie beim Grefrather EC – in der Männer-Verbandsliga.
„Meist bedeutet das eine Menge Stress“, sagt Thyßen. Sie läuft schließlich auch für das Grefrather Damen-Bundesliga-Team, die EC Lady Panthers, auf und holt sich mit einer Doppellizenz ausgestattet überdies bei den Männern des Bezirksligisten EJ Dorsten weitere Spielpraxis: „An intensiven Wochenenden bestreite ich binnen drei Tagen vier Partien.“ In Doppelschichten trainiert sie oft zwei Mal täglich, freie Tage verbringt die 1,68 Meter große Athletin im Kraftraum.
Im Alter von acht Jahren streifte sich Thyßen erstmals die schwere Goalie-Ausrüstung über – und weil es im Junioren-Bereich nur gemischte Mannschaften gibt, spielte sie schon früh zusammen mit Jungen. Als der Traditionsclub in Konkurs ging und im Herren-Team ein Torwart fehlte, half sie gerne als beste Nachwuchs-Keeperin aus. Mittlerweile ist der frühere Bundesligist in der fünfthöchsten Spielklasse angelangt, und in dieser Saison gehört Thyßen fest zum Kader.
Die anfängliche Skepsis ihres Trainers Adam Grygiel konnte sie mit Leistung ablegen. „Frauen haben im harten Eishockey-Geschäft immer mit Vorurteilen zu kämpfen“, sagt sie und glaubt, dass Männer ungern mit Mädchen spielen. Die Sport und Biologie-Studentin hat sich aber durchgesetzt. „Mit der Zeit steigerte sich mein Selbstbewusstsein enorm“, meint Thyßen, die sich als Exotin sieht, aber zugibt, dass „es manchmal sehr ermüdend ist, immer Gegenwind zu bekommen.“
Während sie in Grefrath hinter dem Stammkeeper Andreas Schrills als „zweiter Mann“ von den rund 300 Stamm-Zuschauern längst akzeptiert ist und relativ viele Eiszeiten bekommt, sei es eher die Stimmung bei Auswärtspartien, die sie nerve. Minutenlange, auf ihre Weiblichkeit bezogene Schmähgesänge seien normal. „Begriffe wie Schlampe gehören noch zu dem harmloseren Ausdrücken“, erzählt Thyßen, die sich dann schon fragt, „was in den Köpfen der Leute abgeht.“ Auch die gegnerischen Spieler übten sich recht häufig in Klischees. „Ob ich denn hinterher noch mit den Männern dusche, ist die Standardfrage“, schmunzelt sie. Im eigenen Team sind derlei Prozeduren längst geklärt. Beim Heimspielen hat die Torfrau ihre eigene Kabine, auswärts duscht sie zuerst. „Die Jungs warten dann vor der Umkleide. Ich muss mich aber beeilen, sonst treten die mir in den Hintern“, sagt Thyßen, die sich in ihrer Männerrunde ansonsten gut aufgehoben fühlt: „Werde ich auf dem Eis attackiert, wollen mich meine Mitspieler beschützen. Auch die 17-Jährigen werden dann richtig wütend.“
Der Ehrgeiz, es den Männern zu zeigen, sei daher sehr ausgeprägt. Die Niederrheinerin setzt sich damit selbst unter Druck. „Nach guten Spielen staunen auch die Gegner. Halte ich aber schlecht, sagen alle: Ist ja nur ein Mädchen“, so die Studentin, die bei Frauen wie Männern Glanzparaden zeigt: „Im Damen-Team wird von mir aber auch Leistung erwartet.“
Überhaupt seien die Unterschiede immens. „Frauen sind nachtragender. Gibt es Zoff auf dem Eis, wird das hinterher stundenlang ausdiskutiert. Bei den Männer ist das mit dem Abpfiff erledigt“, erzählt Thyßen, die durch die härteren Schüsse und das körperbetontere Spiel im Männerbereich an Qualität dazu gewonnen hat. Weil sie mit 25 Jahren im Damen-Eishockey schon zum älteren Semester gehört, strich sie Bundestrainer Kathan nach 65 Länderspielen und der Olympia-Teilnahme 2002 in Salt Lake City (sechster Platz) neulich aus dem A-Kader des Eishockey-Verbandes. „Angeblich kann ich mich nicht mehr entwickeln, ich will ihm aber das Gegenteil beweisen“, formuliert sie die nächsten Olympischen Winterspiele 2006 in Turin als Nahziel. Um das zu erreichen, lässt sich Esther Thyßen notgedrungen weiter beschimpfen und von Rüpeln auf Schlittschuhen umrennen.