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Archiv-Artikel

Weltmusik als Wille und Vorstellung

IDEENGESCHICHTE „Weltmusik“ war mal eine deutsche Utopie. Heute ist sie eine Realität

VON DANIEL BAX

Schon 1905 schrieb der deutsche Musikologe Georg Capellen: „Durch die Vermählung von Orient und Okzident gelangen wir (…) zur Weltmusik, die je nach der nationalen und individuellen Veranlagung des Schaffenden in den verschiedensten Nuancen schillern wird.“ In der Begegnung westlicher Komponisten mit traditionellen und außereuropäischen Musikstilen sah der Musikkundler ein neues Genre entstehen – und hoffte, darin ein Antidot zu den grassierenden Nationalismen seiner Zeit zu finden.

Weltmusik als Utopie, in der sich alle nationalen und kulturellen Unterschiede in Wohlgefallen auflösen? Diese Hoffnung erscheint im Rückblick naiv, hat sie sich doch gerade in Deutschland nicht erfüllt. Doch der Gedanke war seitdem in der Welt und fiel immer wieder auf fruchtbaren Boden. Nicht nur, aber auch in Deutschland.

Vom Jazz zum Krautrock

Schwer beeindruckt von John Coltrane, der mit indischen und afrikanischen Rhythmen experimentierte, erblickte etwa der deutsche Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt im Jazz eine „Weltmusik“ avant la lettre. Bereits in den Sechzigerjahren brachte der einflussreiche Impresario und „Jazzpapst“ deshalb deutsche Jazzer mit indonesischen Gamelan-Musikern zusammen und warb dafür, den Jazz als offene und multikulturelle Sprache zu begreifen, womit er natürlich alle Jazz-Puristen für immer gegen sich aufbrachte – zum Teil bis heute.

Es waren Krautrock-Bands wie Can, Amon Düül und Kraan, die diesen Gedanken später in die Rockmusik trugen, indem sie orientalische und asiatische Klänge in ihre psychedelische und experimentelle Improvisationsmusik mischten. Damit verband sich bei ihnen ein antirassistischer und antinationalistischer Impuls, mit dem sie sich gegen all jene Bands abgrenzten, die diesen Anspruch zwar auch auf den Lippen trugen, aber formal lediglich angloamerikanische Rockmuster kopierten und in deutsche Sprache übersetzten – so wie zum Beispiel die Polit-Band TonSteineScherben.

Heute ist die „Weltmusik“ nicht zuletzt dank Einwanderung und Globalisierung in Deutschland gut etabliert. Da gibt es den „Karneval der Kulturen“ in Berlin, der sich zu einem Riesenspektakel ausgewachsen hat. Es gibt den Weltmusik-Wettbewerb „Creole“, an dem sich dieses Jahr über 500 Bands aus der ganzen Republik beteiligt haben. In Köln sendet das Funkhaus Europa bereits im zehnten Jahr rund um die Uhr globalisierte Klänge aus aller Welt. Und überhaupt ist die deutsche Musikszene dank Namen wie Seeed und Shantel, Patrice und Culcha Candela bunter und irgendwie tropischer geworden.

Sound der Einwanderung

Deutschland hat sich damit anderen Einwanderungsländern wie Frankreich und Großbritannien angenähert – und das, obwohl es auf keine vergleichbare koloniale Vergangenheit zurückblickt. Die multikulturelle Gesellschaft, politisch totgesagt – in der Musikszene ist sie heute eine Realität. Nirgendwo ist das so augenfällig wie in der Hauptstadt Berlin, wo man an einem einzigen Abend zwischen verschiedenen Welten wechseln kann, wenn man ihn in der Strandbar des Reggae-Clubs „Yaam“ beginnt, um dann auf eine türkische Hochzeit, ein brasilianisches Konzert oder zur „Russendisco“ ins Kaffee Burger zu gehen.

Manche tun sich mit dieser neuen Realität noch schwer. Das erkennt man schon an der Skepsis, die dem Wort „Weltmusik“ und allem, was damit zusammenhängt, in Deutschland noch immer entgegengebracht wird. Ginge es dabei nur um Worte, die abgelehnt werden, weil darin eine falsche Romantik anklingt, dann wäre das nicht der Rede wert. Doch die Ablehnung trifft Musiker und ganze Genres.

Verkannte Pioniere

Die Missachtung, mit der Musik „mit Migrationshintergrund“ in der hiesigen Musikpresse gestraft wird, ist nicht neu. Dass der Weltmusik-Prophet im eigenen Land eher wenig gilt, hat hier Tradition. „Die Dissidenten“ etwa, die einst aus der Krautrock-Combo Embryo hervorgingen, zählen zweifellos zu den Pionieren moderner Mischmusik. Als sie in den Achtzigerjahren mit ihrem Album „Electric Sahara“ im Maghreb, Spanien und sogar Brasilien große Erfolge feierten, nahm man das in ihrer Heimat nur achselzuckend zur Kenntnis. Und selbst heute ist hierzulande kaum bekannt, welchen Beitrag sie damit zur musikalischen Entwicklung – etwa des algerischen Rai – geleistet haben.

Ähnlich erging es den 17 Hippies, als sie noch am Anfang standen. Erst durch den Film „Halbe Treppe“ von Andreas Dresen wurde ihnen auch hierzulande jene mediale Aufmerksamkeit zuteil, die sie – mittlerweile eine der wichtigsten deutschen Bands – längst verdient haben. Und auch der Frankfurter DJ Shantel wird mit seinem Balkan-Pop von vielen noch immer als Exot belächelt. Dabei war sein Album „Disco Partizani“ etwa in der Türkei ein Bestseller, dort ist er ein unbestrittener Star.

Warum „Weltmusik“, selbst wenn sie von hier stammt, auf so viel Ignoranz stößt, lässt sich nicht allein mit Provinzialität und Sektierertum erklären, die große Teile des deutschen Musikjournalismus auszeichnen – wer sich über die Musiken der Welt informieren will, muss den Guardian, die Libération, El País oder Fachzeitschriften lesen.

Die Vorbehalte gegen jede Form der „Weltmusik“ mögen deren Geburt aus dem Geist des deutschen Idealismus geschuldet sein. Möglicherweise ist es aber auch nur ein alter xenophober Reflex.