Gegen die Stechmücke

KUBA Didier Goupils Roman über die Kubanische Revolution rechnet einseitig mit Fidel Castro ab

Elektrisiert reißt der französische Gelehrte die Augen auf, als er die ersten Klänge von „La Vie en Rose“ hörte. Doch wer war es, der die weltberühmten Strophen intoniert? Wem gehörte die näselnde Stimme, die die Zeilen dahinschluchzt, und wer spielte das traurige Piano, das dem Stück diese markante schmerzvolle Note gab?

Bola de Nieve lautet die Antwort von Vincent M., der seinen französischen Gast gerade vom Flughafen Havannas abgeholt hat und ihn nun durch den spärlichen Verkehr der kubanischen Hauptstadt ins mondäne Hotel Riviera kutschiert. Bola de Nieve ist die pechschwarze Inkarnation des kubanischen Chansons der 40er- und 50er-Jahre. Sein melancholisches Spiel, immer gewürzt mit einem neckischen Augenzwinkern, soll den französischen Gelehrten auf seiner Entdeckungsfahrt durch das Havanna des Jahres 2003 fortan begleiten. Ein trauriges Havanna, das wenig mit dem tropischen Paradies zu tun hat, das der französische Tourist im Dienste der Wissenschaft ursprünglich erwartet hatte.

Als dieser geht Autor Didier Goupil in Havanna im ersten Teil des Roman „Castro ist tot“ auf Entdeckungsfahrt. Es ist eine ernüchternde Reise in die kubanische Realität. Dem fortschreitenden Verfall der Stadt, die den Besucher aus dem Ausland an das zerschossene Beirut der 90er-Jahre erinnert, stehen die Bemühungen gegenüber, wenigstens die weltberühmte Altstadt Havannas und die berühmte Uferpromenade, den Malecón, vor dem Zerfall ihrer architektonischen Perlen zu bewahren. Punktuelle Aktivitäten in einer Stadt, die von Apathie und Lethargie geprägt ist. „Es gab keine Arbeit, kein Geld und alle taten nichts anders, als auf den Tag zu warten, an dem sich endlich etwas ändern würde“, beschreibt Goupil seine Eindrücke. Desillusioniert und perspektivlos hat er die Bewohner der Hauptstadt erlebt und die Widersprüche in eine sarkastische Frage gegossen: „Wie kann man in einem kapitalistischen System mit sozialistischen Löhnen überleben?“

Die Antwort steht latent im Raum, denn Goupil zeichnet das Bild einer dahinsiechenden Revolution, die hoffnungsvoll startete und anämisch zu enden droht. Allerdings nicht ohne gegen die vermeintlichen Feinde der Revolution, unabhängige Journalisten wie Oppositionelle, ins Feld zu ziehen, sie als „Söldner“ abzuurteilen und festzusetzen. Zu denen gehört auch der kubanische Journalist Juan Valero. Dessen Leben mit und gegen die Revolution und damit auch mit und gegen die Ikone der Revolution – Fidel Castro – steht im Zentrum der zweiten Romanhälfte. Unschwer ist dabei zu erkennen, dass Goupil sich am Leben von Raúl Rivero, dem Gründer der ersten unabhängigen Presseagentur der Insel – Cubapress –, und seinem Knasttagebuch orientiert und dem die zunehmenden gesundheitlichen Probleme des Comandante en Jefe gegenüberstellt. Dabei kommt Goupil aber immer seltener ohne Häme aus.

Von der gelangweilten Entourage, die den nicht enden wollenden Monologen des Mannes mit dem struppigen grauen Bart lauschte, ist dabei genauso die Rede wie von der Generalmobilmachung gegen die Stechmücke. Goupil scheint den Mann der Lächerlichkeit preisgeben zu wollen, der die Insel wie kaum ein anderer geprägt hat und den USA knapp fünfzig Jahre lang die Stirn bot. Dabei reproduziert der in Toulouse lebende Romancier so manches Gerücht über Fidel Castro – von der Parkinson’schen Krankheit, an der Fidel Castro laut CIA leide, bis zum Gerücht, dass die fünf Söhne dereinst in die Fußstapfen ihres Vaters treten könnten. So muss sich der 45-jährige Goupil den Vorwurf der bedingungslosen Einseitigkeit gefallen lassen. Das ist schade, denn der Start von „Castro ist tot“ ist durchaus vielversprechend.

KNUT HENKEL

■ Didier Goupil: „Castro ist tot“. Roman. Aus dem Französischen von Ines Schütz. Haymon Verlag, Innsbruck 2009, 120 S., 14,90 €