Streicher im Weltall

BIG BAND Mut zu Größe in Krisenzeiten: Daniel Glatzel und sein 20-köpfiges Andromeda Mega Express Orchestra. Auf der Bühne heben sie vollständig ab: Heute Abend spielen sie im Festsaal Kreuzberg

Glatzel versucht als Komponist, stets eine Balance zwischen Spiel nach Noten und Improvisation zu halten

VON TIM CASPAR BOEHME

Wer im vergangenen Herbst beim Festival des Berliner Jazzkollektivs war, weiß längst, was ihn heute Abend erwartet. Allen anderen sei dringend empfohlen, sich zum Festsaal Kreuzberg zu begeben, um mit eigenen Ohren das 20-Musiker-Wunder namens Andromeda Mega Express Orchestra zu bezeugen. Ihre Musik, die nach Bigband, Free Jazz und Pop klingt, findet man auf diesem Planeten nur einmal. Auf der Bühne wirkt der Charme ihrer kometenhaften Energie so stark, dass sie auch die Missmutigsten zum Lächeln bringt. Dies ist Kunst, die ihren Anspruch geschickt verbirgt. Allein Größe und Besetzung können einschüchternd wirken.

Nicht umsonst führt die Berliner Truppe um den 25 Jahre alten Komponisten und Saxofonisten Daniel Glatzel „Mega“ im Namen. Freie Ensembles dieser Ausmaße sind selten, besonders im Grenzgebiet zwischen Jazz, Neuer Musik und Pop. Von Größe zu Größenwahn ist es dabei nur ein kleiner Schritt, und Glatzel ist sich dessen durchaus bewusst. Da es schwierig geworden ist, mit Musik Geld zu verdienen, zählt ein Mammutunternehmen wie das Andromeda Mega Express Orchestra mit Bläsern, Streichern, Harfe und Vibrafon zu den eher unwahrscheinlichen Ereignissen. „Es ist schon gut zu wissen, dass die Leute aus Idealismus mitmachen. Wir haben Zeiten gehabt, in denen keiner Geld bekommen hat, da habe ich nur Geld hineingesteckt.“

Widersprüche versöhnen

Hat man ihre Musik erst einmal gehört, wird die Begeisterung der Musiker für ihr Ausnahme-Orchester schnell verständlich. Die Kompositionen Glatzels, wie sie auf dem soeben erschienenen Debüt „Take Off!“ zu hören sind, vermischen unterschiedlichste Einflüsse auf ganz selbstverständliche Weise, sodass experimentelle Jazzimprovisationen leichtfüßig zu swingen beginnen und Latin-Rhythmen auf große Weltraumfahrt gehen, ohne anstrengend, beliebig oder gekünstelt zu klingen. Diese Musik entwickelt ihre ganz individuelle Sprache, indem sie widersprüchliche Elemente in eingängiger Form versöhnt. Und sie klingt völlig verständlich.

Glatzel, der gerade sein Saxofonstudium an der Musikhochschule Hanns Eisler beendet, spielt sein Instrument, seit er zwölf Jahre alt ist. Als er noch in München wohnte, improvisierte er in verschiedenen Jazzensembles mit untypischer Besetzung wie Cello, Fagott oder Akkordeon. Die feinen Klangnuancen faszinierten ihn, und schon bald begann er selbst zu komponieren.

An der Musikhochschule studierte er von Anfang an nebenbei klassische Komposition und Harmonielehre. Mittlerweile ist das Komponieren für ihn wichtiger als das Saxofonspiel. Während des Studiums improvisierte Glatzel nicht nur mit Leuten aus der Jazzszene, sondern hatte auch viel mit klassischen Musikern zu tun. „Dann kam das Experiment mit einer größeren Besetzung. Das hat mir irgendwie gut gefallen, und es hat so eine Eigendynamik entwickelt. Und dann sind wir dabeigeblieben.“

Zwar ist Glatzel allein für die Musik des Orchesters verantwortlich, doch versucht er in seinen Kompositionen stets eine Balance zwischen Spiel nach Noten und Improvisation zu halten. „Ich versuche, den Musikern möglichst viel Freiraum zu geben. Weil ich es wichtig finde, dass sich jeder auf seine Art und Weise einbringen kann.“ Doch er weiß, dass die Freiheit Grenzen hat. „Bei einer großen Gruppe ist es schwieriger als mit wenigen Leuten, und deswegen muss man immer abwägen. Ich versuche das möglichst zu variieren, dass es nicht immer nur ein Solo ist wie im Jazz, bei dem alle anderen begleiten.“

Im Jazzkollektiv

Glatzel und sein Andromeda Mega Express Orchestra gehören von Anfang an zum Jazzkollektiv Berlin, einem Zusammenschluss von Berliner Bandleadern. „Es gibt viele Berührungspunkte zwischen den Leuten, da sie oft schon mal miteinander gespielt haben.“ So sitzt auch der Posaunist Gerhard Gschlössl, selbst Kopf mehrerer Formationen, in Glatzels Orchester.

Glatzel kooperiert außerdem mit Popmusikern wie der Band The Notwist, für deren Album „The Devil, You + Me“ er Arrangements schrieb und einspielte. Die Verbindungen nach Weilheim sind in der Zwischenzeit noch enger geworden: Nicht nur erscheint Glatzels Album auf dem Label der Notwist-Brüder Markus und Micha Acher, auch der Andromeda-Trommler Andi Haberl ist seit Kurzem neues Mitglied der oberbayrischen Indie-Rocker.

Für die Mannschaft von Andromeda steht erst einmal kein Personalwechsel an. „Es gibt noch viel aus der Besetzung herauszuholen. Ich bin eher so ein Typ, der längerfristig mit einem Ding arbeitet und versucht es auszuschöpfen.“

■ Andromeda Mega Express Orchestra: „Take Off!“ (Alien Transistor), Konzert heute im Festsaal Kreuzberg, 20.30 Uhr