Weißer Lord als Bauernopfer

KENIA Das Urteil gegen einen adligen weißen Großgrundbesitzer wegen Totschlags an einem Wilderer begeistert ganz Kenia – vor allem die schwarzen Großgrundbesitzer

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Als Muga Apondi am gestrigen Dienstag in Saal Nummer vier des Gerichtshofs in Nairobi Platz nahm, war sein Richterpult mit Mikrofonen übersät, Kameras übertrugen live. Doch der mit Spannung erwartete Richterspruch nach dem am vergangenen Donnerstag ergangenen Schuldspruch blieb aus: Wie lange Tom Cholmondeley, Lord Delamere, wegen Totschlags hinter Gitter muss, wird frühestens am Donnerstag bekannt gegeben.

Kein anderer Prozess hat seit Jahren in Kenia so viel Aufsehen erregt wie der gegen den weißen Farmer und Nachfahren eines der ersten und berühmtesten weißen Siedler in der damals britischen Kolonie, der 1901 nach Kenia übersiedelte. Bis heute gehört seine Soysambu-Farm im Rift Valley mit 800 Quadratkilometern, etwa der Fläche Berlins, zu den größten zusammenhängenden Ländereien in Kenia. Umgeben ist sie von Dörfern, in denen eine wachsende Zahl armer Subsistenzbauern auf wenig Land versucht, ihre Familien zu versorgen. Beliebt ist Cholmondeley bei ihnen nicht.

Aus einem dieser Dörfer brach der Maurer Robert Njoya am 10. Mai 2006 mit zwei Freunden und einer Meute von sechs Hunden auf, um auf Cholmondeleys Farm zu wildern. Nach Angaben von Njoyas Begleiter trugen sie Schlagstöcke und Macheten, als sie auf der Farm auf Cholmondeley trafen, der mit seinem Freund Carl Tundo, einem Rallyefahrer, spazieren ging. „Cholmondeley eröffnete ohne Grund das Feuer“, urteilte Richter Apondi am vergangenen Donnerstag. „Die vorliegenden Beweise belegen eindeutig den Tathergang, der Angeklagte wird des Totschlags schuldig befunden.“ Vor vier Jahren noch war Cholmondeley von dem Vorwurf freigesprochen worden, auf seiner Farm einen Wildhüter erschossen zu haben.

Das Cholmondeley-Urteil wurde gefeiert wie eine zweite Unabhängigkeit. „Endlich gibt es Gerechtigkeit für alle“, freut sich etwa Henry Mwenga, ein Taxifahrer, der nicht weit vom Gericht entfernt seinen Stand hat. „Dank diesem Urteil gibt es keine Unberührbaren mehr in Kenia.“ Charles Njoge, ein Tagelöhner, meint: „Endlich müssen auch mal die Reichen dran glauben, nicht nur wir Armen.“

Gerade deshalb halten Kritiker des Prozesses es für nicht unwahrscheinlich, dass das Urteil unter politischem Druck entstanden ist. Kenia ist nicht gerade für eine funktionierende Justiz bekannt, und die blutigen Unruhen mit 1.300 Toten nach den Wahlen Ende 2007 bleiben ungestraft. „Der Mythos vom weißen Großgrundbesitzer, der die arme Bevölkerung benachteiligt, spielt vielen Politikern doch in die Tasche“, sagt ein Diplomat, der den Prozess verfolgt hat. Denn tatsächlich ist es längst eine schwarze Elite, die die meisten Ländereien in Kenia besitzt: Allein die Familie von Gründungspräsident Uhuru Kenyatta besitzt mehr als 2.000 Quadratkilometer Land, sein Nachfolger Daniel arap Moi kommt einem Bericht der „Kenya Land Alliance“ zufolge auf mehr als die Hälfte. Der gleiche Report bezichtigt zahlreiche Abgeordnete der illegalen Landnahme. Eine seit Jahren geforderte Landreform, die Kleinbauern zugutekommen soll, kommt wohl auch deshalb seit Jahren nicht voran.

Dass Cholmondeley unschuldig ist, muss das alles nicht heißen. Doch von „eindeutigen Beweisen“ kann nicht die Rede sein. „Schon die polizeiliche Untersuchung war einseitig“, sagt Verteidiger Fred Ojiambo, der auf unschuldig plädiert und Berufung angekündigt hat. Sein Klient, so Ojiambo, habe auf die Hunde geschossen, Cholmondeleys Begleiter Tundo auf den Wilderer. Belegen lässt sich das alles nicht, weil alle Spuren von der Polizei noch am Tatort zerstört wurden. Die Hunde konnten nie untersucht werden, und die Kugel, die Njoya traf, wurde nie gefunden. „Das ganze Urteil gründet alleine auf der Aussage von Tundo, der selbst ein Tatverdächtiger ist“, so Ojiambo. Vorwürfen von Willkür gibt der Richter selbst Nahrung. Als die Verteidigung etwa einen Waffensachverständigen präsentierte, nannte Apondi Sachverständige „käufliche Lügner“: „Ihren Urteilen sollte so wenig Bedeutung wie möglich beigemessen werden.“