: „Mit den Studenten per du“
Werner Textor war in den 60er-Jahren Einsatzleiter der Schutzpolizei. Bei den Demonstrationen der Studenten lernte er Rudi Dutschke kennen. Später trafen sie sich als Patienten in der Klinik wieder
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
taz: Herr Textor, zu den Anfängen der Studentenbewegung waren Sie Einsatzleiter bei der Schutzpolizei. „Oberkommissar hält demonstrierende Studenten mit Humor in Schach“, schrieben die Zeitungen damals über Sie. Wie sind Sie zu diesem Ruf gekommen?
Werner Textor: Ich habe bei Lautsprecherdurchsagen eine andere Tonart angeschlagen, als es damals üblich war. Stereotype Ansagen wie „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei“ haben von vornherein Widerwillen hervorgerufen.
Was haben Sie für Durchsagen gemacht?
Bei einer Sitzdemonstration, einem so genannten Sit-in, das ging ja alles auf Denglisch, habe ich die Kommilitonen gebeten, auf der Fahrbahn enger zusammenzurücken, weil auf den Gehwegen noch einige hundert stehen, die sich auch gern an der Sitzdemonstration beteiligen möchten.
Wie war die Reaktion?
Gelächter. Alle warteten darauf, dass ich sie in dem Ton weiterunterhalte.
Und dann?
Es wurde Musik von mir verlangt, moderne Tanzmusik. Ich habe gesagt, dazu müssen Sie aber aufstehen. Im Sitzen kann man nicht tanzen. Ich hatte an Bord ein Radio und habe ihnen auch Sportnachrichten vorgespielt. Zu dieser Zeit spielte eine russische Mannschaft gegen Hertha.
Sie waren bei den Studenten richtig prominent?
Das hat sich nach und nach entwickelt. Anfang 69 bin ich ja Leiter des Diskussionskommandos der Polizei geworden.
Der so genannten Gruppe 47.
Wir haben mit den Demonstranten das Gespräch gesucht, um Gewalttätigkeiten zu vermeiden. Unter anderem waren wir ein Vierteljahr ununterbrochen auf dem FU-Campus eingesetzt. Das war ein Ort, von dem viele Aktivitäten ausgingen. Nach kurzer Zeit waren meine Mitarbeiter und ich mit den Studenten per du. Jeder kannte sich mit Vornamen.
Wann haben Sie Rudi Dutschke kennen gelernt?
1967 – bei x Einsätzen. Wenn die Masse der Demonstranten auf die Polizeikette zukam, war Rudi Dutschke immer in der ersten Reihe mit dabei. Untergehakt marschierte man mit „Ho, Ho, Ho Chi Minh“-Rufen und anderen Parolen. Als Sprecher der Polizei habe ich ihn über den Lautsprecherwagen auch persönlich angesprochen: dass ich gern mit ihm über den weiteren Verlauf der gemeinsamen Demonstration reden würde. Wir waren ja genauso beteiligt wie die.
Er kam zu Ihnen an den Lautsprecherwagen?
Oder ich bin ihm entgegengegangen. Dutschke hat mal zu uns gesagt: Wenn ihr jemand mit langen Haaren und einem Bart seht, hat der bei euch doch sofort verloren. Das habe ich zum Anlass genommen, mir einen Vollbart stehen zu lassen.
Später hatten Sie noch andere Begegnungen.
Dutschke wurde am 11. April 1968 angeschossen und kam ins Westend-Krankenhaus. Ich hatte das Pech, dass bei mir kurz danach ein Gehirntumor festgestellt wurde. Ich musste also auch unters Messer und kam auf dieselbe Station wie er. Die nannte sich bei den Patienten Scheibe und Platte, weil dort nur Leute operiert wurden, die entweder was am Kopf oder an der Bandscheibe hatten. Als ich noch nicht operiert war, habe ich Dutschke auf dem Flur getroffen. Er stand kurz vor der Entlassung.
Wann war das?
Das muss so Mitte Mai gewesen sein. Wir waren beide in Patientenkluft, erkannten uns, haben uns aber nur kurz begrüßt. Als ich operiert war, trug ich einen Turban als Kopfverband. Da fragt man ja untereinander, was haste gehabt. Es kam zum Gespräch, draußen im Garten, wo wir beide Luft schnappten. Ich glaube, er hat gesagt: Was macht denn die Polizei jetzt ohne dich? Daraufhin ich: Und was macht die APO ohne dich? Danach haben wir uns ausgetauscht.
Um was drehte sich das Gespräch?
Wir haben über den Vietnamkrieg gesprochen. Ich habe mich intensiver darüber informiert, was in der Gesellschaft alles falsch ist, und ihm zugegeben, dass bei der Polizei auch nicht alles optimal ist. Er hat mir erzählt, dass er die Arztrechnung bekommen hat. Die war ziemlich hoch. Er hat gesagt: Die schießen mich an – kommt gar nicht infrage, dass ich das bezahle. Aus der Presse habe ich später erfahren, dass das Land Berlin die Kosten übernommen hat. Das war gut so.
Nach dem Krankenhaus hatten Sie keinen Kontakt mehr?
Nein. Aber ich habe alles verfolgt, was über ihn in den Zeitungen stand. Ich hatte ja unter ähnlichen Ausfallerscheinungen zu leiden. Bei einer Operation im Kopf wird immer etwas beschädigt. Durch eine Art epileptischer Anfälle hatte ich Lähmungen im linken Bein. Deshalb musste ich 1975 auch vorzeitig den Dienst quittieren.
Wie haben Sie die Nachricht von Dutschkes Tod aufgenommen?
Ich war betroffen. Wenn man jemandem auf der Straße gegenübersteht, der sein Gegner ist, und mit diesem persönlichen Kontakt hat, sieht man die Dinge doch anders.