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Archiv-Artikel

taz-adventskalender (24): Der Kreißsaal im Krankenhaus Neukölln Die erste Tür für 80.000 Kinder

Stehen Sie auf fade Schokotäfelchen? Wir auch nicht. Die Türen des taz-Adventskalenders verbergen anderes: geheime Schätze und wilde Tiere, Sex and Crime. Letzte Dinge. Seit 1. Dezember öffneten wir täglich eine Tür – auf einem Kalender namens Berlin.

Heute öffnen wir die letzte Tür unseres Kalenders. Und wie immer im Advent geht es am Ende um einen Anfang. Theologisch betrachtet, ist es der Anfang vom Ende, aber theologisch wollen wir hier nicht werden. Hinter dieser Tür geschehen gänzlich irdische Wunder. Sie ist schnörkellos, modern. Gebürsteter Stahl. Wer nicht aus privaten Gründen durch diese Tür tritt, tut es kaum gelassen. Die einen unter Schmerzen, die anderen nervös, panisch, euphorisch. Beim Verlassen des Raumes durchqueren mehr Personen die Tür als beim Betreten. Sie führt in einen von acht Entbindungsräumen im Kreißsaal der geburtsmedizinischen Klinik des Neuköllner Krankenhauses.

Der Kreißsaal ist das Herzstück der traditionsreichen, 1978 in einem nach damaligen Kriterien modernen Gebäude eröffneten Klinik. Um hineinzugelangen, muss man eine Tür mit Gegensprechanlage passieren. Dahinter liegen fensterlose Flure, deren vergilbte Wände durch gerahmte Kinderbilder nur wenig gewinnen. An der Decke hängt, hier in Form einer bemalten Holzfigur, das Wappentier aller Geburtskliniken: der Storch.

Tür Nummer sieben führt in den Vorzeigeraum des Kreißsaals: Es ist der hellste, der geräumigste. Sollte beim Eintreffen einer Gebärenden kein Raum belegt sein – was tagsüber selten vorkommt –, ist Nummer sieben die erste Wahl. Auch für Zwillingsgeburten wird er gerne in Anspruch genommen. Wirklich anheimelnd ist keiner der acht Geburtsräume, auch wenn manche mit kreativen Wand- und Deckenbildern ausgestattet wurden. Vorhänge verbergen notdürftig Maschinen, Schläuche, Geräte, deren Zweck die Angekommenen selten zu erfahren wünschen. Aus Stutzen an der Wand können bei Bedarf Sauerstoff oder Lachgas entnommen werden. Schön klingt das nicht.

Für die Geburt muss es nichts bedeuten: Das Einfühlungsvermögen der Hebammen, die ruhige Hand der ÄrztInnen wiegen schwerer. Die Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Entbindung wird selbstverständlich akzeptiert. Grelles Neonlicht wird vermieden. Wer nach der Geburt die Klinik mit dem Kind verlassen will, kann auf dem in alle Richtungen schwenkbaren Entbindungsbett noch in Ruhe eine Mahlzeit zu sich nehmen. Alles ist angenehm unaufgeregt.

Dass die Geburtsklinik trotz allem so wenig einladend wirkt, hat einen Grund. Seit geraumer Zeit wird hier nicht mehr renoviert: Am 17. Januar, nach Jahren des Wartens, zieht die Klinik samt Personal in ein neues, helles Haus am Hauptstandort des Klinikums in Buckow. Dass die Zahl der Planstellen dabei reduziert wird, steht auf einem anderen Blatt. Im Schnitt 3.200 Geburten jährlich hat Neuköllns Kreißsaal in der gegenwärtigen Form erlebt. Das ist Rekord in Berlin. Seit Inbetriebnahme kamen hier rund 80.000 Kinder zur Welt. Die allermeisten leben wohl noch, die ältesten haben gerade ihren 26. Geburtstag gefeiert. Die vorläufig jüngsten werden heute geboren: Heiligabend 2004. Wahrscheinlich auch in Nummer sieben. CLAUDIUS PRÖSSER